Ausstellung Ausstellung: Vergessen und wiedergekehrt
Naumburg/MZ. - Schon 2004 blickte das ungläubig staunende Publikum auf die ausgebreitete Fülle der Merseburger Domarchive, als die Ausstellung "Zwischen Kathedrale und Welt" Kulturgut ans Licht brachte, das über Generationen in Naumburg ausgelagert gewesen war. Im vergangenen Jahr fand die in ihrer Existenz gefährdete Zeitzer Stiftsbibliothek ein würdiges Domizil im Torhaus des Zeitzer Schlosses. Und morgen nun öffnet sich in einem Gewölbe unter dem Kreuzgang die Schatzkammer des Naumburger Doms.
Spuren des Schicksals
Zwar muss man von dem Begriff die Assoziationen ablösen, die etwa mit Halberstadt oder Quedlinburg verbunden sind. Naumburg hat einen Bildersturm sowie Plünderungen und Brandschatzungen im Dreißigjährigen und anderen Kriegen erlebt. Gold- und Silbergeschmeide ist dabei ebenso untergegangen wie das meiste an Ornat, Prachtgewändern oder Teppichen.
Was in dem stimmungsvoll ausgeleuchteten Gewölbe stattdessen den Blick auf sich zieht, das sind in erster Linie Altäre. Die Spuren eines wenig günstigen Schicksals sieht man ihnen an; kein Schnitzwerk, keine Malerei ist unbeschadet überliefert. Diese sakralen Plastiken haben eine Odyssee hinter sich. Vierzig Kapellen und Altäre zählte der Dom vor der Reformation. Unter dem ersten evangelischen Bischof Nikolaus von Amsdorf (1542-1546) gab es einen Moment bilderstürmerischen Aufwallens. Das traf unter anderem den Hauptaltar im Westchor. Doch die zwei Seitenflügel blieben vom Zerstörungswerk verschont, wohl weil sie zwischen Heiligen die Bildnisse zweier Vorgänger zeigen, die den Altar stifteten und die Malerei bei Lukas Cranach dem Älteren in Auftrag gegeben hatten.
An die Stelle der verlorenen Mitteltafel hat Kurator und Archivleiter Holger Kunde eine Madonna gestellt, die ihrerseits die Geschichte einer Zerstörung birgt. Am 7. April 1532 legte ein Brandstifter Feuer im Dom. In den Flammen sind "thormen und zyrlikeyten" - wie es ein Zeitgenosse schildert - "mit verstorben". Der Legende nach kamen die Flammen an just diesem "Gnadenbild" zum Stehen - und tatsächlich zeigt die Madonna Brandspuren an Kopf, Fuß und Rücken.
Jahrhundertelang taten dann die Lagerbedingungen ein Übriges. Vereinzelt wurde auch einmal ein Altar an eine Dorfkirche gewissermaßen ausgeliehen. So sind Zerstörung und Verfall das eine, jedoch die Abwesenheit restauratorischer Eingriffe ein anderes. Soweit erhalten, ist die Farbe, die man auf diesen Bildwerken des Mittelalters und der Renaissance sieht, vom Meister eigenhändig aufgetragen.
Zweiter Blick
Es ist diese Authentizität, die zum Beispiel die aus dem 14. Jahrhundert stammende Pietà-Gruppe statt mit vermeintlicher Innerlichkeit mit triumphalem Glanz tränkt. Einen zweiten Blick braucht auch der stark beschädigte Dreikönigsretabel eines, wie es im Katalog heißt, "frankoflämisch beeinflussten Malers" von zirka 1415 bis 1420: Akteure und Szenerie entfalten eine Farbigkeit von wundervoller Frische und Lebhaftigkeit.
Die Schatzkammer erlaubt es nun auch, einige der Dokumente im Original zu zeigen, die mit der Gründungsgeschichte des Doms auf das engste verknüpft sind. Das sind in erster Linie die Urkunden von der Verlegung des Bistums von Zeitz nach Naumburg im Jahr 1028 und von Papst Johannes XIX. 1228 bestätigt; und es ist der "Spendenaufruf" Bischof Dietrich II. von 1249, der der wichtigste und zugleich nicht endgültig schlüssige Beleg für die reale Existenz der berühmten Naumburger Stifterfiguren ist.
Zum Domschatz gezählt wird auch die testamentarische Gabe des Domherrn Immanuel von Ampach, auch wenn sie gesondert in einer Andachtskapelle hängt. Das hat inhaltlich seinen Sinn, denn Ampachs Nachlass umfasst einen zeittypischen Akt "religiöser Volkserziehung": einen Zyklus von Christus-Bildern des deutsch-römischen Malerbunds der "Nazarener". 1820 bis 1825 haben sie diese Bilder in Rom gemalt. Auch von diesem singulären Kunsterbe hat in Naumburg kaum noch jemand gewusst.