Ausstellung Ausstellung: Ein kreativer Netzwerker
JENA/MZ. - Als geometrische Formel bleibt der Satz eher suspekt, als ästhetischer Zauberspruch aber hat er Kunstgeschichte geschrieben: "Punkt und Linie zu Fläche" ist der Titel eines theoretischen Standardwerks von Wassily Kandinsky - und nun auch das Motto einer Ausstellung im Stadtmuseum Jena, die dem bereits reichlich strapazierten Bauhaus-Jubiläum in diesem Jahr einen späten Höhepunkt beschert.
Entlegene Sammlungen
Denn was der Kurator Erik Stephan hier aus den Beständen von 40 Leihgebern (darunter das hallesche Landeskunstmuseum Moritzburg und die Anhaltische Gemäldegalerie Dessau) zusammengetragen hat, nimmt erwartbare Standards wie die berühmte Folge der "Kleinen Welten" auf, um sie mit echten Überraschungen aus entlegenen Sammlungen in Krasnojarsk und Omsk, Delmenhorst und Rovereto zu konfrontieren.
So wird ein neuer Blick auf ein längst vermessen geglaubtes Terrain möglich - und das "Making of" eines zugleich analytischen und esoterischen Künstlers kenntlich. Denn wenn man das Bauhaus nur als kreativen Urknall nach dem Zivilisationsschock des Ersten Weltkriegs verstehen will, muss man die Wurzeln vieler Protagonisten im 19. Jahrhundert ignorieren: Paul Klee war im Gründungsjahr als 40-Jähriger der Jüngste im Triumvirat der großen Maler, Kandinsky hatte bereits 53 Lebensjahre und mehr als eine Karriere hinter sich. Geboren als Sohn eines Moskauer Teehändlers, entschied er sich erst relativ spät unter dem Eindruck von Claude Monets "Heuhaufen in der Sonne" für eine künstlerische Laufbahn und ließ sich in München - gemeinsam mit dem jüngeren Schweizer Klee - bei Franz von Stuck ausbilden.
Parallel dazu entwickelte er sein Talent als kreativer Netzwerker, der in Künstlergruppen wie der "Phalanx" oder dem "Blauen Reiter" Allianzen der Avantgarde schmiedete und der seinen Weg mit Büchern wie "Über das Geistige in der Kunst" publizistisch flankierte. Dass er zur Zeit der Oktoberrevolution noch einmal für mehrere Jahre in Russland lebte und dort als Funktionär für die Volksaufklärung zahlreiche Museen aufbaute, verschwindet in der historischen Wahrnehmung hinter seiner folgenden, epochalen Wirkung für das Bauhaus. In Jena kann man es sehen - wie auch die frühen, gegenständlichen Arbeiten, in denen Kandinsky eine mit russischer Folklore verschnittene Form des Jugendstils oder den Ton des Edvard Munch erprobt. Die wunderbaren Holzschnitte oder auch die Impressionen aus der bayerischen Wahlheimat in Murnau, wo der Maler jahrelang mit Gabriele Münter lebte, werden in der Schau - einer durch die Museums-Architektur erzwungenen Logik folgend - nicht als Grund, sondern als Überbau der Bauhaus-Zeit präsentiert.
Stilbildende Leistung
Das Zentrum freilich bilden jene Arbeiten, in denen sich die Motive in Zeichen auflösen - jene Grafiken und Gemälde also, in denen aus der Troika eine Gruppe von Linien und aus dem "Blauen Reiter" ein dynamisches Kürzel wird. Kandinskys stilbildende Leistung liegt tatsächlich in diesem "Abstrahieren", also im Absehen vom Konkreten und im Blick auf das Allgemeinere - und nicht in der voraussetzungs- und gegenstandslosen Darstellung. Dass sich die Spannung zudem immer auch mit spirituellen Komponenten auflädt, dass man das Streben nach vorn und nach oben ebenso wie den Abwärts-Sog erkennen kann, gibt den farb- und formbewussten Übungen ihre Seele.
Der Russe, der szenisch dachte und musikalische Vorlagen in Bilder übersetzte, war ein Meister der Synthese. Dass er sich damit auch in unterschiedlichste Kontexte einpassen ließ, sieht man in Jena. So findet man ihn in der "Ganymed-Mappe" zwischen Expressionisten wie Max Beckmann und Erick Heckel, während er in der vierten Ausgabe der Bauhaus-Drucke als Vertreter der "Neuen Europäischen Grafik" zwischen Giorgio de Chirico und Gino Severini steht.
Eine besonders aufschlussreiche und schöne Abteilung zeigt zudem die Protagonisten der frühen Sowjet-Kunst wie Alexander Rodtschenko und Iwan A. Puni, die mit ihren futuristischen Tendenzen einen wichtigen formalen Impuls für Kandinsky gaben, obwohl sie ihn mit ihrem Maschinen-Glauben hinter seinem geistigen Anspruch abstießen. Und schließlich findet sich im Werk des Malers und Kunsthistorikers Walter Dexel auch die lokale Verbindung des Weltbürgers Kandinsky mit der Provinzstadt Jena, deren Kunstverein bereits früh zur öffentlichen Wahrnehmung von Kandinsky beitrug - eine Verortung, die an die vornehmsten Pflichten solcher bürgerlichen Institutionen erinnert und das Stadtmuseum einmal mehr als kunstgeschichtlichen Knotenpunkt von überregionalem Rang ausweist.
Bis zum 22. November, Di, Mi und Fr 10-17, Sa / So 11-18, Do 14-22 Uhr