Auftritt in Leipzig und neues Album Auftritt in Leipzig und neues Album: Grandseigneur Dieter Meier erfindet sich neu

Halle (Saale) - Was zum Teufel tue ich hier, wartet die Welt denn wirklich auf mich, fragt er sich zum Anfang erstmal programmatisch. Natürlich nicht, aber wenn einer 69 ist, wirtschaftlich seit Jahrzehnten versorgt, durch seine Mitwirkung bei einer weltweit erfolgreichen Pop-Band leidlich berühmt und des Künstlerischen immer noch nicht müde, dann kommt es auf die genaue Antwort nicht an.
Dieter Meier live am 6. Mai im UT Connewitz
Dann geht es ins Studio, dann erfindet sich der Grandseigneur Dieter Meier eben noch einmal neu, ziemlich genau 30 Jahre nachdem er als Sänger der Schweizer Zwei-Mann-Band Yello sein Hitparadendebüt gab. „Out of Chaos“, das Soloalbum des 69-jährigen Konzeptkünstlers, Investors und Flaneurs, hat nichts gemein mit den seinerzeit gemeinsam mit dem Elektrofrickler Boris Blank entwickelten Yello-Hits Marke „The Race“. Wo damals die Diskokugel blitzte, erklingt jetzt elektrifizierte Rotwein-Musik. Meier, langhaarig, schnauzbärtig und immer elegantest gekleidet, inszeniert sich zumindest in zehn von zwölf selbstgeschriebenen Stücken mehr als Reinkarnation von Tom Waits oder Nick Cave denn als Erbwalter der Yello-Disko. Blue statt yellow. Er ist der Nachtportier, der durch die Dunkelheit treibt, ein Blinder aus Liebe in der Mitte des Nirgendwo. Produziert von Nackt, der sonst mit dem Quedlinburger Elektroniker Sascha Ring alias Apparat arbeitet, und Marco Haas, der unter dem Namen „T.Raumschmiere“ als einer der ersten Musiker Punk mit urbanen Elektrosounds verband, erinnern Songs wie „Paradise Game“ oder „The Ritual“ nicht nur wegen Meiers Sprechgesang an Projekte wie Infamis oder Sven Regeners Element of Crime zu deren englischsprachigen Zeiten.
Abgebrochenes Jurastudium
Dramatik wird hier durch möglichst lapidaren Textvortrag zu stumpf stampfender Musik erzeugt, der Sound ist unterkühlt, der Sänger hebt kaum die Stimme, während er seine Lebensweisheiten verkündet: „A man in love is always a fool / he loses his mind and he loses the cool“.
Da ist Friedrich Lichtenberg ganz nah, der Superstar aus der Youtube-Werbung, der mit seinem für eine Supermarkt-Kette lasziv hingehauchten „Supergeil“ gezeigt hat, wie angesagt ein älterer Herr sein kann, wenn er seine Rolle nur würdig spielt. Ein Anzug, der Dieter Meier passt wie maßgeschneidert: Selbst auf dem Höhepunkt der Yello-Euphorie ist der Sohn einer Bankerfamilie, der sich nach einem abgebrochenen Jurastudium zeitweise als Pokerspieler durchschlug, nie aus dem Korsett des gesetzten Herren gestiegen. Meier hat das Toben und Jubeln der Fanmeuten stets mit einem gelassenen Schmunzeln beobachtet, weil er weiß, dass es nichts bedeutet.
Die Jacke sitzt noch immer, bei „Out of Chaos“ allerdings hat sie Samtaufschläge und ein Seidentuch im Täschchen. Halb elektronisch, halb akustisch zeigen Meiers selbstgeschriebene Songs den Teilzeit-Winzer als Barphilosophen. Meier sinniert, die teilweise 14-köpfige Band musiziert.
Tourpremiere in Leipzig
Ein Experiment, das zufällig zustande kam. Bei einer Spontan-Session während einer Lesereise hatte Meier den Geiger Tobias Preisig und den Gitarristen Nicolas Rüttimann kennengelernt, Nick Caves Trommler Thomas Wydler stieß dazu, Pianist Ephrem Lüchinger reihte sich ein und Meier, der mit Yello nur zwei Live-Auftritte absolviert hatte, fand bei Konzerten von Montreux bis Berlin späten Gefallen am Leben eines Bühnenstars.
Mit „Out of Chaos“ will der Mann mit der sonoren Großvaterstimme nun tatsächlich erstmals richtig auf Tournee gehen. Neun Konzerte hat er anberaumt, mithin mehr als doppelt so viele wie er in den bisherigen drei Jahrzehnten seiner eleganten Künstlerkarriere gespielt hat. Tourpremiere feiert Meier in Leipzig. (mz)
