1. MZ.de
  2. >
  3. Kultur
  4. >
  5. Architektur: Architektur: Beton-Baumeister wird 70 Jahre alt

Architektur Architektur: Beton-Baumeister wird 70 Jahre alt

Von Martina Rathke 19.07.2004, 05:50
Der Beton-Baumeister Ulrich Müther, der am 21. Juli siebzig Jahre alt wird, steht vor dem von ihm selbst in den 70-er Jahren konstruierten und 1981 aufgestellten futuristisch anmutenden Rettungsturm im Ostseebad Binz. (Foto: dpa)
Der Beton-Baumeister Ulrich Müther, der am 21. Juli siebzig Jahre alt wird, steht vor dem von ihm selbst in den 70-er Jahren konstruierten und 1981 aufgestellten futuristisch anmutenden Rettungsturm im Ostseebad Binz. (Foto: dpa) dpa

Binz/dpa. - Will man das Lebenswerk Ulrich Müthers sehen, mussman sich recken oder auf Weltreise gehen. Die kühnen Konstruktionendes Beton-Baumeisters aus Binz stehen in Libyen, Kuwait oderFinnland. Müthers Betonbauten voller Eleganz und Schwung wurden zueinem der wenigen im Westen erfolgreichen Exportartikel der DDR.Pünktlich zu seinem 70. Geburtstag vereinen sie sich jetzt imRettungsturm des Ostseebades Binz. 60 Fotos seiner Konstruktionenwerden sich an der Decke des von ihm entworfenen Bauwerks reihen: dasRestaurant der «Teepott» in Rostock Warnemünde, das Gebäude«Ahornblatt» in Berlin, die erste ohne Einschalung erbauteRennschlittenbahn der Welt in Oberhof, das Kulturzentrum Tripolis inLibyen oder das Planetarium in Helsinki - eine Müther-Welt.

Mit dem uniformierten DDR-Plattenbau hatte der Bauingenieur nichtviel am Hut. «Das hat mich wenig interessiert», sagt er. Aberzwischen der «Platte senkrecht» und der «Platte waagerecht» liegt dastypisch Müthersche: die gewölbte Schale. Alles sei eine Frage derMathematik, der Berechnung, sagt Müther. 1963 diplomierte er miteiner mathematisch komplizierten Arbeit zur Berechnung derhyperbolischen Paraboloide. Die Formeln waren das Fundament für dieextravaganten Hyparschalenkonstruktionen, die bis heute nichts vonihrer Stabilität eingebüßt haben. Sich selbst sieht Müther alsBaumeister - ein berufliches Zwischending zwischen Bauingenieur undArchitekt.

Müthers Lebenswerk ist von Fachkollegen auf der ganzen Weltgerühmt worden. In dem 2003 erschienen Band «Federgewichte» wird derMann von der Insel Rügen als einer der weltweit fünf Pioniere desSchalenbetonbaus gewürdigt. Im Nachwende-Deutschland war der Umgangmit seinen Bauwerken durchaus dreist. Einem Teil seinerKonstruktionen, Großgaststätten, Schwimmbäder, Tagungszentren,Messehallen oder Cafés ging nach 1989 ihre ursprüngliche Nutzungverloren. Wo es gelang, wie im Warnemünder «Teepott», alte Formen mitneuen Inhalten zu füllen, erstrahlen Müthers Bauwerke in alter, neuerEleganz.

Das «Inselparadies» in Baabe oder die «Ostseeperle» in Glowe sinddagegen noch immer der Verwahrlosung freigegeben und warten auf ihreErweckung. «Das macht dem Beton nicht so viel aus», urteilt Mütherrelativ gelassen über den jahrelangen Leerstand. Viel schmerzhaftersei für ihn, wenn aus Ignoranz Tatsachen geschaffen werden und derAbriss folgt. So geschehen beim «Ahornblatt» in Berlin oder MüthersDiplomarbeit, einem Speisesaal in Binz, der 1964 als ersteKonstruktion dieser Art gebaut wurde.

Seine Karriere begann in Rostock. Für die Ostsee-Messe Rostockentwarf und baute er 1966 die Messehalle für Bauwesen und Erdöl -eine Referenz, der weitere Aufträge erst in der DDR, dann im Auslandfolgten. Müther, parteilos, wurde in den ArbeitsausschussSchalentragwerke der Kammer der Technik der DDR berufen. Damit wareine Mitarbeit in der IASS (International Association for Shell andSpatial Structures) möglich. Mit der Wende allerdings hielt seinUnternehmen, die Müther GmbH Spezialbetonbau, dem Druck in derBaubranche nicht stand und ging in Insolvenz.

Doch Müther geht der Beton nicht aus dem Kopf. Heute betreibt derBauingenieur ein Planungsbüro und entwirft weiterhin Hyparschalen,Kuppeln oder Spritzbetonkonstruktionen. «Beton ist der einzigeBaustoff, mit dem man jede erdenkliche Form gestalten kann», schwärmter. Vor kurzem traf eine Anfrage aus Süddeutschland für die Planungeiner Badelandschaft ein. Zudem gilt Müther bei angehendenBauingenieuren und Architekten als «Legende». Studenten vonTechnischen Hochschulen belegen Workshops bei ihm. Den Geburtstagwill Müther nicht im großen Rahmen begehen. Seine Feier ist dieEröffnung der Ausstellung in dem Ufo-gleichen Rettungsturm.