Arbeitslose spielen Toller-Drama «Masse Mensch»
Bremen/dpa. - Bremen Um Rüstungsbetriebe, Rache und «die Bösen, die sich mästen mit Menschenleibern» geht es in dem Drama «Masse Mensch» von Ernst Toller (1893-1939). Arbeitslose führten das Stück jetzt in Bremen auf.
An deutschen Stadttheatern sind die expressionistische Sprache des Dramatikers und seine plakative Auseinandersetzung mit dem Kampf gegen die Konzerne aus der Mode gekommen. Bei der Premiere von «Masse Mensch» im Bremer Güterbahnhof wurden Tollers Revolutionsideen auf ungewöhnliche Weise wiederbelebt. Schauspieler und Tänzer, die den Kampf ums Überleben zeigen, sind selbst arbeitslos. Das Publikum feierte die 70-minütige Inszenierung des theaterlabors bremen mit intensivem Applaus.
Ähnlich wie «Halle 7» in München ermöglicht das Bremer Projekt seit über einem Jahr arbeitslosen Theatermachern aus der gesamten Republik, wieder auf der Bühne zu stehen. Durch dieses Weiterbildungsangebot der Agentur für Arbeit und der Volkshochschule hatten die Künstler die Chance, ein halbes Jahr lang «Masse Mensch» zu proben. Nur Intendant, Regisseur und die Dozenten sind fest angestellt. Die anderen erhoffen sich von diesem Projekt «den Sprung zurück in den Beruf».
Regisseur Patrick Schimanski aus München hatte den Ehrgeiz, aus diesem Pool sehr unterschiedlicher Begabungen und Persönlichkeiten ein spannendes Projekt zu machen. Obwohl seine Inszenierung nicht in allen Aspekten mit einem eingespielten, professionellen Theater konkurrieren kann, ist ihm ein intensiver Theaterabend gelungen. Der alte Güterbahnhof passt ebenso zum Kampf der 17 Schauspieler und Tänzer um Anerkennung wie der Lärm der draußen vorbeifahrenden Züge. Trotz der Nähe zur Toller-Vorlage und dem dadurch allzu plakativ wirkenden Kampf des Proletariats um Macht gibt es eindringliche Szenen, die an aktuelle Streiks und Börsenspekulanten erinnern. Erika Spalke spielt dabei überragend die Hauptrolle der Sonja Irene L., die zwischen den Fronten um friedliche Lösungen kämpft.
«Masse Mensch» wurde 1920 in Nürnberg uraufgeführt. Das Stück dreht sich eine Frau aus der Oberschicht, die sich für das revolutionäre Proletariat einsetzt und dafür ihre Ehe opfert. Im Gegensatz zu einem Volksaufhetzer, im Stück als «Namenloser» bezeichnet, lehnt sie den blutigen Klassenkampf ab. «Masse Mensch» ist ein Appell gegen jede Art von Gewalt. Tollers Drama verbindet dabei expressionistisches Menschheitspathos mit einer ekstatisch- verkürzten Sprache.
Zum Schluss gilt Sonja allen als Verräterin, der Oberschicht und dem Volk. In einer der stärksten Szenen kriechen Menschen in Blaumännern wie Ungeziefer an der Frau im Faltenrock empor. Sowohl ihr Ex-Mann als auch der Volksverschwörer, ausdrucksstark verkörpert von Nicole Wagner, bedrängen die Pazifistin, die für ihre Überzeugung in den Tod geht. Von allen verlassen, philosophiert sie über die Gefahren blinden Mitläufertums: «Masse ist nicht heilig. Gewalt schuf Masse. Masse ist Trieb aus Not, ist gläubige Demut, ist grausame Rache, ist blinder Sklave, ist frommer Wille. Masse ist zerstampfter Acker, Masse ist verschüttet Volk. Wer zwang sie in Mechanik, erniedrigt sie zu Kolben an Maschinen? Der Staat!»
«Mich hat dieser Stoff seit Jahren verfolgt», sagte Schimanski kurz vor der Premiere. «Wenn die Spekulanten in einem der Traumbilder von Toller komplett durchdrehen, hat das auch viel damit zu tun, was im Moment an den Börsen passiert.» So konnte sich der Regisseur nicht verkneifen, seine Masse Mensch auch gegen Ex-Post-Chef Klaus Zumwinkel kämpfen zu lassen, dem Steuerhinterziehung vorgeworfen wird. (dpa)