Industrie Wirtschaft geht auf Konfrontationskurs zu Scholz
Die deutsche Wirtschaft steckt in einer Konjunkturflaute. Die Kritik an der Bundesregierung nimmt zu. Unterschätzt der Kanzler den Ernst der Lage?
Berlin - Wirtschaftsverbände in Deutschland gehen auf Konfrontationskurs zu Kanzler Olaf Scholz (SPD). Industriepräsident Siegfried Russwurm wirft Scholz mit Blick auf die Konjunkturflaute vor, den Ernst der Lage offenbar zu unterschätzen. Der Präsident des Bundesverbands der Deutschen Industrie sagte der „Süddeutschen Zeitung“ mit Blick auf die bisherige Regierungszeit der Ampel-Koalition und den Wirtschaftsstandort: „Es waren zwei verlorene Jahre – auch wenn manche Weichen schon in der Zeit davor falsch gestellt wurden.“
Auch andere Wirtschaftsverbände zeigen sich unzufrieden. DIHK-Präsident Peter Adrian sagte der Deutschen Presse-Agentur am Mittwoch: „Der Vertrauensverlust der Politik bei den Unternehmen ist enorm.“
Die wirtschaftliche Lage
Die deutsche Wirtschaft kommt nicht vom Fleck. Vor kurzem senkten führende Wirtschaftsforschungsinstitute ihre Wachstumserwartungen für dieses Jahr deutlich. Sie erwarten nur noch ein Wachstum von 0,1 Prozent - das bedeutet Stagnation. Es gebe Gegenwind für die Wirtschaft aus dem In- und Ausland, erklärten sie. „Die Wirtschaft in Deutschland ist angeschlagen.“ 2023 war die Wirtschaftsleistung sogar um 0,3 Prozent zurückgegangen.
In der Prognose der Institute hieß es, „fortwährende Unsicherheit“ über die Wirtschaftspolitik belaste die Unternehmensinvestitionen. Marie-Christine Ostermann, Präsidentin des Verbands Die Familienunternehmer, sagte am Mittwoch, jeden Tag würden Standortentscheidungen gegen Deutschland und gegen Europa getroffen. „Nur noch 25 Prozent der international tätigen Familienunternehmen ist bereit, in Deutschland zu investieren, weil die Standortbedingungen zu schlecht sind.“
Die Kritik der Wirtschaft
Schon seit längerem äußern sich Wirtschaftsverbände unzufrieden mit dem Kurs der Bundesregierung in der Wirtschafts- und Finanzpolitik. Beim Tag der Industrie im vergangenen Juni bereits machte Russwurm deutlich, die Bundesregierung müsse nun liefern, um Abwanderungen von Unternehmen ins Ausland zu verhindern. Das Land stehe vor einem „Berg“ wachsender Herausforderungen.
Jetzt scheint sich die Tonart zu verschärfen. Russwurm sagte der „Süddeutschen Zeitung“, der BDI spreche mit Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) und Finanzminister Christian Lindner (FDP) regelmäßig. „Vom Kanzler hören wir zuletzt häufig das Zitat "Die Klage ist das Lied des Kaufmanns". So kann man unsere Analysen auch abkanzeln, zeigt aber, dass im Kanzleramt der Ernst der Lage offenbar unterschätzt wird.“
Vor dem letzten Treffen in München Anfang März hätten die vier Spitzenverbände der Wirtschaft Scholz ein Papier mit zehn konkreten Reformideen zugesandt, so Russwurm. „Antwort aus dem Kanzleramt: bisher Fehlanzeige. Oder nehmen Sie das Bürokratie-Entlastungsgesetz: Es wurden dafür 442 konkrete Vorschläge unterbreitet. Aufgenommen hat die Regierung elf.“
Die Verbände fordern etwa international konkurrenzfähige Strompreise, schnellere Planungs- und Genehmigungsverfahren, Entbürokratisierung und eine Steuerreform. Scholz machte in München deutlich, er sehe keinen finanziellen Spielraum für umfassende Steuersenkungen. Er warnte davor, den Standort Deutschland schlechtzureden. „Natürlich hilft es nicht, wenn ganz viele Lobbyisten und Politikunternehmer die Stimmung im Land verschlechtern, weil dann behalten die Leute ihr Geld auf dem Sparbuch und investieren nicht“, sagte er.
Immer wieder betont der Kanzler milliardenschwere Investitionen ausländischer Konzerne in Deutschland. Die Regierung subventioniert solche Ansiedlungen zum Teil massiv. Auf der Habenseite sieht Scholz außerdem mehr Tempo beim Ausbau der erneuerbaren Energien oder Erleichterungen bei der Einwanderung ausländischer Fachkräfte.
Verbände fordern Reformen
Adrian sagte, zwischen dem vom Bundeskanzler vielfach beschworenen „Deutschland-Tempo“ und der von den Unternehmen täglich erlebten Wirklichkeit klaffe eine deutliche Lücke. „In dieser Situation brauchen wir dringend klare Verbesserungen der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen, damit die deutsche Wirtschaft möglichst schnell wieder auf einen Wachstumskurs einschwenken kann. Und das beginnt beim Anerkennen der Wirklichkeit. Der Kanzler und sein Kabinett sollten den Unternehmen zeigen, dass sie verstanden haben, in welcher Situation sich die Wirtschaft befindet und endlich den Beschleunigungsturbo anwerfen.“
Christoph Ahlhaus, Bundesgeschäftsführer des Mittelstandsverbands BVMW sagte: „Bei aller berechtigten Kritik haben wir durchweg den Eindruck gewonnen, dass in der Ampel angekommen ist, dass deutlich mehr getan werden muss, um Deutschland wieder in die Spur zu bringen.“ Es sei aber noch eine Menge Luft nach oben. „Darum unser dringender Appell an Regierung und Opposition, aber auch an Wirtschaft und Gesellschaft: Rauft Euch alle zusammen und lasst uns gemeinsam unser Land wieder in Ordnung bringen.“ Dem Bundeskanzler komme hier eine entscheidende Bedeutung zu, dies mit der nötigen Empathie erfolgreich voranzubringen.
Ostermann sagte, die Lage sei sehr ernst. Die Wirtschaft brauche Entlastungen. Hier stehe nicht nur Wirtschaftsminister Habeck in der Pflicht, sondern angesichts der gesamtgesellschaftlichen Aufgabe auch der Kanzler.
Die Pläne der Bundesregierung
Tatsächlich blicken Habeck und Lindner anders auf die Lage der Unternehmen und die deutsche Wettbewerbsfähigkeit als Scholz. Beide sehen, dass der Wirtschaftsmotor stottert und haben Abhilfe versprochen - doch sie haben ganz unterschiedliche Ideen für die Reparatur. Habeck möchte einen „Reformbooster“ unter anderem mit Steuerrabatten für grüne Technologien. Lindner dagegen spricht von einer „Wirtschaftswende“ mit Bürokratieabbau und steuerlichen Maßnahmen für alle. Im Endeffekt müssten die Unternehmenssteuern „baldmöglichst von rund 30 Prozent effektiver Belastung runter Richtung 25 Prozent“, sagte der FDP-Chef der „Rheinischen Post“.
Weil das mit Sicherheit auch Geld kostet, soll ein gemeinsames Wachstumskonzept der Ampel-Regierung in den Bundeshaushalt für 2025 eingebaut werden. Der soll Anfang Juli vom Kabinett verabschiedet werden - doch Spielraum für Zusatzwünsche gibt es eigentlich nicht. Stattdessen klafft auch ohne Entlastungen für die Wirtschaft schon eine Milliardenlücke.