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Sachsen-Anhalt 2040 Sachsen-Anhalt 2040: Pflege als Wirtschaftsmotor

11.03.2015, 08:01
Zukunftsforscher Michael Opielka
Zukunftsforscher Michael Opielka IZT Lizenz

Halle (Saale) - Boom-Region oder Abstellgleis: Wie sieht Sachsen-Anhalt in 25 Jahren aus? Diesem Thema widmet sich das 22. Wittenberger Gespräch, das am Mittwoch in der Lutherstadt stattfindet. Der Zukunftsforscher Michael Opielka, Wissenschaftlicher Direktor des IZT - Institut für Zukunftsstudien und Technologiebewertung in Berlin, wird seine Visionen dort vorstellen. Im Vorfeld sprach Steffen Höhne mit ihm.

Sachsen-Anhalt in 25 Jahren: Lässt sich da überhaupt etwas verlässlich prognostizieren?

Opielka: Eine Prognose ist zumindest griffig: die Demografie. Wir wissen, wie sich die ältere Bevölkerung entwickelt. Diese wird anteilig in den kommenden Jahren stark steigen. Unklar ist, ob wir eine Netto-Zuwanderung oder weiter eine Netto-Abwanderung bekommen.

Rechnen Sie mit einer größeren Zuwanderung?

Opielka: Objektiv gesehen, dürfte es kein Problem sein, den erwarteten Bevölkerungsschwund durch Zuwanderung auszugleichen. Es gibt durch zahlreiche Kriege und Konflikte auf der Welt einen großen Migrationsdruck. Nehmen wir nur das Geschehen in der Ukraine oder im Nahen Osten. Sehr viele Menschen wollen nach Deutschland kommen. Die Frage ist aber, ob unsere Bürgerinnen und Bürger das wollen. Dazu benötigen wir eine offene Gesellschaft. Es geht aber auch darum, welche Zuwanderer kommen. Unsere Wirtschaft steht vor einem tiefgreifenden Wandel. In Zukunft werden die einzelnen Industrie- und Dienstleistungsbereiche viel stärker miteinander vernetzt. Vor 25 Jahren gab es die Internet-Wirtschaft noch nicht. Diese wird künftig immer stärker dominieren. In 25 Jahren werden beispielsweise Autos, Hausgeräte und Produktionsanlagen miteinander kommunizieren. Dafür werden hoch qualifizierte und flexible Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter benötigt.

Was muss eine Region bieten, um in der Wissens- und Informationsgesellschaft mitspielen zu können?

Opielka: Wichtig sind aus meiner Sicht zwei Dinge: Sie muss den unterschiedlichen Lebensentwürfen von Menschen, die innovationsorientiert sind, entgegenkommen. Das heißt sie muss zugleich städtisches und ländliches Flair bieten. Viele junge Akademiker wollen beides: Stadtluft und Landlust. Da hat Sachsen-Anhalt gar keine schlechten Karten. Zudem muss es interessante Arbeitgeber geben. Von den 500 größten Unternehmen in Deutschland kommen aber nur acht aus den neuen Ländern. Das ist ein großes Problem.

Wie kann das Land dennoch Fachkräfte anziehen?

Opielka: Indem man auf zukunftsträchtige Branchen setzt. Dies könnten in der Region Halle-Leipzig-Jena etwa Medizin und Pflege sein. Es gibt in diesem Feld bereits exzellente Forschungseinrichtungen. Um sie herum lassen sich innovative Firmen entwickeln. Pflege wird bisher nur als Kostenfaktor angesehen. Dabei ist dies ein riesiges Wirtschaftsfeld, wenn man beispielsweise technische Dienstleistungen für andere Weltregionen entwickelt.

Und was wird mit dem ländlichen Raum? Taugt dieser dann nur noch zur Naherholung?

Opielka: Nein, Handwerk und kleine Industrie bleiben dort erhalten. Auch in der Landwirtschaft sehe ich durchaus Potenzial. Der Trend geht eindeutig zu ökologisch produzierten Produkten. Diese lassen eine sehr viel höhere Wertschöpfung zu, zudem können bei höheren Margen kleinere Mengen vor Ort industriell oder in Manufakturen verarbeitet werden. Und natürlich profitiert die ländliche Region auch von der Strahlkraft der Metropolen.

Welche Metropolen? Der Stadt Halle fehlt eine nationale und erst recht internationale Ausstrahlungskraft.

Opielka: Deswegen müssen die Städte Halle, Leipzig und Jena als eine Metropolregion auftreten. Es ist zwar ein großes Dreieck, kulturell hängen diese Städte aber zusammen. Bisher verhindern die Ländergrenzen vielfach, dass die Synergien voll ausgeschöpft werden. Die Städte stehen aber für High-Tech.

Dann am besten die Ländergrenzen gleich abschaffen, oder?

Opielka: Das würde viel Kraft kosten. Ich glaube, dass man in den bestehenden Strukturen sehr viel und das auch schneller erreichen könnte.

Die Politik reagiert oft dann, wenn die Sachzwänge groß werden. Die gesellschaftlichen Widerstände für Veränderungen sind groß. Im Zweifel ist der heutige Arbeitsplatz bei einem Waschmittel-Hersteller wichtiger als die potenziell zehn bei der Biotechnologiefirma von morgen.

Opielka: Wir müssen auf soziale Nachhaltigkeit setzen. Es muss eine Wirtschaftspolitik geben, die klar die zukunftsträchtigen Wertschöpfungsbereiche im Blick hat und fördert. Fest steht: Die Billigproduktion ist nicht das hiesige Wirtschaftsmodell. In der Industrie 4.0 wird sogar viel Produktion aus anderen Teilen der Welt nach Deutschland zurückkehren, weil Kleinserien, deren Produkte sehr speziell und individuell sind, hier gefertigt werden. Sachsen-Anhalt und die Metropolregion Halle-Leipzig-Jena können ein Modell für zukunftsfähiges Wirtschaften werden: nachhaltig, technologisch avanciert, sozial eingebettet. Weniger und besser, statt viel und billig, das könnte die Leitmelodie für die nächste Generation sein. (mz)

Eine Pflegerin hält die Hand eines Patienten
Eine Pflegerin hält die Hand eines Patienten
dpa/Symbol Lizenz