Energie und Infrastruktur Interview mit ABB-Chef Ulrich Spießhofer: "Elektromobilität braucht vier Dinge um sich durchzusetzen"

Ulrich Spießhofer stammt unüberhörbar aus dem Schwäbischen. Doch der Chef des schweizerisch-schwedischen Industriekonzerns ABB lebt seit vielen Jahren in der Schweiz. An diesem Wochenende wird er in Zürich am Rande einer Rennstrecke stehen. Dort steigt der zehnte Lauf der diesjährigen Formel-E-Meisterschaft – bei der Boliden mit Elektroantrieb gegeneinander antreten. Für Spießhofer ist es ein besonderes Rennen, denn in Zürich befindet sich auch die ABB-Konzernzentrale, und das Unternehmen ist seit Anfang des Jahres Hauptsponsor der Formel E. Spießhofer setzt darauf, dass die Rennwagen Werbeträger für die Elektromobilität werden, für die er aber auch mehr Unterstützung durch die Politik verlangt.
Herr Spießhofer, ABB ist seit Beginn des Jahres Titelsponsor der Formel E. Steckt dahinter eine persönliche Vorliebe oder geschäftliches Kalkül?
Unser Engagement ergibt sich aus unserer Geschäftsstrategie. ABB macht heute zwei Dinge: Wir bringen Strom von jedem Kraftwerk zu jedem Verbrauchspunkt; und wir automatisieren die Industrie vom Rohstoff bis zum fertigen Produkt. Wenn man auf der Stromseite nach Dynamik und Marktchancen sucht, dann stößt man ganz schnell auf die Elektromobilität.
Wie gehen Sie die Elektromobilität nun an?
Wir haben 2011 ein Start-Up gegründet, das sich mit Ladeinfrastruktur für Elektroautos befasst. Kurz danach haben wir ein zweites Start-Up dazu gekauft und sind heute Weltmarktführer in der Schnellladetechnik, sind damit heute in 60 Ländern vertreten und haben mehr als 7.000 Schnellladestationen installiert.
Fahren Sie selbst ein Elektroauto?
Ich sammle bereits seit mehr als drei Jahren Erfahrungen mit elektrischen Fahrzeugen. Zunächst hatte ich einen i3 von BMW, jetzt fahre ich einen i8.
Wo laden Sie die Batterie Ihres Elektroautos?
Entweder zu Hause oder im Büro. Und wenn ich unterwegs bin an einer Schnellladestation.
Aber öffentliche Ladestationen sind immer noch dünn gesät.
Bei der Ladeinfrastruktur gibt es immer noch Lücken. Aber wir bauen alleine mit dem Energiekonzern EnBW gerade 117 Stationen entlang der deutschen Autobahnen auf, und wir bauen für Electrify America in den USA einen großen Teil des Ladenetzwerks auf. Wir sind in Lateinamerika und in China aktiv. Aber man muss sich als Fahrer eines Elektroautos unterwegs schon noch Gedanken machen, wo man Strom nachladen kann. Das Finden der Ladestationen wird durch Google-Maps und andere Apps erleichtert.
Woran mangelt es noch?
Die Elektromobilität braucht vier Dinge, um sich am Markt durchzusetzen: Die Fahrzeuge – ich freue mich, dass die Autoindustrie dabei jetzt Vollgas gibt. Dann Ladestationen, die schnell, sicher und verfügbar sind. Um die Verfügbarkeit zu verbessern, müssen mehr Stationen aufgebaut werden. Auch hier sind wir bei ABB auf einem guten Weg. Zusätzlich muss aber auch das Stromnetz stärker und smarter werden, um mit den wechselnden Lasten besser zurechtzukommen. Und schlussendlich kann die Elektromobilität nur dann sauberer werden, wenn mehr erneuerbare Energiequellen den Strom erzeugen. Bei den letzten drei Dingen können wir als Marktführer weltumspannend helfen.
Kann der Markt das alleine regeln?
Ich gehe davon aus, dass sich in Europa eine Konsumenten-Dynamik entwickelt, die Versorgungsunternehmen dazu bringt, viele Stationen zu bauen.
Und das Stromnetz kann das alles verkraften?
Wir müssen das Netz, das dies verkraftet, schrittweise ausbauen. Sechs Schnellladepunkte à 350 Kilowatt an einer Ladestation das braucht mehr als zwei Megawatt Leistung. Das entspricht dem Bedarf eines kleinen Dorfs oder 2.000 Haartrocknern, die gleichzeitig eingeschalten werden. Wenn sie das heute tatsächlich tun, ohne das Distributionsnetz darauf vorzubereiten, erzeugen sie einen Blackout. Deshalb müssen die Stromnetze auf der lokalen Verteilebene gestärkt werden.
Der Ladestrom muss doch von Erneuerbaren kommen? Nur so wird E-Mobilität für Klima- und Umweltschutz überhaupt erst sinnvoll.
So ist es. Wir brauchen eine noch stärkere Integration von erneuerbaren Energiequellen.
Bekommen wir das alles tatsächlich ohne politische Lenkung hin?
Das beste Beispiel dafür haben Sie in Deutschland: Die Versorgungsunternehmen haben das Stromnetz bislang erfolgreich durch die Energiewende geführt, trotz eines massiven Hochfahrens der Solarenergie. Das ist wirklich eine tolle Leistung.
Hält das Netz auch mehrere Millionen Elektroautos aus, die abends gleichzeitig geladen werden?
Ein Pendler der jeden Tag 40 Kilometer fährt, muss über Nacht nur wenige Kilowattstunden nachladen. Das ist für einzelne Autos sicher kein Problem. Anders ist es bei einem Mehrfamilienhaus mit 100 Parteien und 100 Elektroautos. Da kann dann eine Belastung entstehen, für die der Stromanschluss dieses Hauses nicht ausgelegt ist. Das ist eine der herausfordernden Fragen.
Was ist Ihre Antwort?
Die chinesische Regierung hat die Antwort gegeben. Sie hat nämlich gesagt, das wichtigste Thema zur Förderung der Elektromobilität, ist eine staatliche Unterstützung zum Bau von Ladestationen in den Tiefgaragen von Mehrfamilienhäusern. Dafür hat der chinesische Staat umgerechnet sechs Milliarden Dollar zur Verfügung gestellt.
Das wäre etwas, das Sie auch der Bundesregierung empfehlen würden?
Es wird kein Weg daran vorbeiführen, dass die Autobauer, die Kommunen und auch die Regierungen ihren Beitrag leisten, damit die Elektromobilität ein Erfolg wird. Wir brauchen da eine Art konzertierte Aktion.
Und wie geht es mit dem Ausbau der Erneuerbaren weiter, der von der Bundesregierung zuletzt eher gebremst wurde?
Ich bin sehr optimistisch, dass erneuerbare Energiequellen eine immer größere Rolle spielen werden. Damit wird heute schon in sonnenreichen Regionen Strom für 1,6 Cent pro Kilowattstunde erzeugt. Keine andere Form zur Erzeugung von Elektrizität ist billiger. Und das Ende der Entwicklung ist noch lange nicht erreicht.
Das Gespräch führte Frank-Thomas Wenzel
Zur Person
Ulrich Spießhofer (Jahrgang 1964) ist studierter Wirtschaftsingenieur. Er startete seine Karriere 1991 beim Beratungsunternehmen AT Kearney, dessen Schweizer Ableger er in den Jahren 2001 und 2002 leitete. Danach war er bis 2005 ebenfalls als Berater bei Roland Berger in der Schweiz tätig. Danach wechselte der zu ABB, übernahm dort zunächst den Posten des Leiters der Unternehmensentwicklung. Von 2010 an stand er der Sparte Automation vor und wurde im September 2013 zum Vorstandsvorsitzenden gewählt. ABB ist einer der großen Energie- und Automatisierungskonzerne, der weltweit tätig ist und etwa 136.000 Frauen und Männer in rund 100 Ländern beschäftigt.