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Export-Überschuss Deutschlands Export-Überschuss: Der globale Geld-Staubsauger

Von Stephan Kaufmann 09.02.2017, 13:14
In den USA, Großbritannien und Frankreich wird beklagt, dass das Ausland vom Handel mit ihnen profitiert. Insbesondere Deutschland.
In den USA, Großbritannien und Frankreich wird beklagt, dass das Ausland vom Handel mit ihnen profitiert. Insbesondere Deutschland. dpa

Berlin - In Deutschland geht die Angst vor dem Protektionismus um. Denn die US-Regierung plant Zoll- und echte Mauern gegen ausländische Waren und Menschen, Großbritannien verabschiedet sich aus der EU, in Frankreich kursiert die Forderung nach einer „patriotischen Ökonomie“. In diesen Ländern wird beklagt, dass das Ausland vom Handel mit ihnen profitiert. Insbesondere Deutschland. Dieser Befund ist korrekt.

Im vergangenen Jahr exportierte die deutsche Wirtschaft Waren über 1207,5 Milliarden Euro und damit so viel wie nie, teilte das Statistische Bundesamt am Donnerstag mit. Da nur für knapp 955 Milliarden Euro im Ausland eingekauft wurde, summierte sich der Überschuss im grenzüberschreitenden Handel auf  253 Milliarden.

Ebenfalls Rekord. „Dass die deutsche Wirtschaft sehr viel mehr exportiert als importiert, ist Anlass zur Sorge und kein Grund stolz zu sein“, kommentierte Marcel Fratzscher, Chef des Wirtschaftsforschungsinstituts DIW. „Der Rekordüberschuss wird den Konflikt mit den US und innerhalb der EU weiter anfachen.“

Deutsche Adressen ziehen die Kaufkraft der Welt an sich

Kein Land auf der Welt häuft größere Überschüsse im internationalen Geschäftsverkehr an als Deutschland. Fast die Hälfte der hier zu Lande produzierten Güter wird ins Ausland verkauft, sprich: deutsche Adressen ziehen die Kaufkraft der Welt an sich.  Seit dem Jahr 2000 hat sich der deutsche Export verdoppelt. Die Welt wird mit Maschinen, Anlagen, Autos und Chemieprodukten überschwemmt. Gleichzeitig saugt Deutschland das Geld der Welt ein.

Das zeigt, wie wettbewerbsfähig die deutsche Wirtschaft ist. Das Problem: Aus dem Ausland wird viel weniger eingekauft. Ergebnis: Vor zehn Jahren lag der Außenhandelsüberschuss – Exporte minus Importe – noch bei 160 Milliarden, vor 20 Jahren bei 50 Milliarden. Seitdem hat er sich verfünffacht.

Inklusive Einnahmen aus Handel, Übertragungen, Zins- und Dividendenzahlungen aus dem Ausland ergibt sich ein Leistungsbilanzüberschuss von 266 Milliarden Euro – so viel wie noch nie. Gemessen an der Wirtschaftsleistung beläuft sich der Überschuss auf 8,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Dagegen sind Export-Nationen wie Japan oder China kleine Fische.

Trump beklagt „unfaire“ Handelsbeziehungen

Seit Einführung des Euro hat Deutschland Überschüsse über 2600 Milliarden Euro eingefahren. Das lag zum einen daran, dass deutsche Waren eine hohe Qualität zu günstigen Preisen bieten, daher gut exportiert werden können. Zum anderen wurde die preisliche Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands in den neunziger und frühen 2000er Jahren durch Lohnzurückhaltung gestärkt.

Nebenwirkung war ein schwacher privater Konsum, die Deutschen konnten sich wenig leisten, importierten daher wenig. Dazu kam eine staatliche Sparpolitik, die die inländische Nachfrage weiter drückte. Folge: Die Lücke zwischen Ausfuhr und Einfuhr dehnte sich aus.

Diese Überschüsse sind nun vielen Ländern ein Dorn im Auge. Deutschland schmarotze an der Wirtschaftskraft anderer Staaten, heißt es, US-Präsident Trump beklagt „unfaire“ Handelsbeziehungen, die Euro-Zone, so Trump, diene nur dem Nutzen Deutschlands.

Überschuss gelingt nur mit Defizit

Gleichzeitig ist Deutschlands Überschuss ist eine gefährliche Sache. Denn er kann nur erzielt werden, wenn andere Länder Defizite erleiden. So wie die USA. Für 2016 allein berechnete das US-Handelsministerium ein Minus im globalen Handel über 500 Milliarden Euro. Der Großteil davon ging auf das Konto Chinas, dahinter folgen Japan und Deutschland – und erst danach Mexiko, zu dem US-Präsident Donald Trump eine Mauer errichten will.

Hohe und steigende Leistungsbilanzdefizite bedeuten für Länder, dass sie sich bei Deutschland verschulden. Sie „leben über ihre Verhältnisse“, wie es oft heißt und gerade in Deutschland kritisiert wird. „Doch wenn alle Länder der Welt aufhören würden, über ihre Verhältnisse zu leben – woher kämen dann der ganzen deutschen Überschüsse?“, fragt Nick Kounis, Ökonom bei der niederländischen Bank ABN Amro. Es ist eine rhetorische Frage. Denn ohne Defizite in anderen Ländern keine Überschüsse in Deutschland.

Um die Euro-Zone zu stabilisieren und die Ungleichgewichte zu beseitigen, müssten also die deutschen Überschüsse sinken. „Problematisch sind  nicht die hohen Exporte, problematisch ist die schwache Entwicklung der Importe“, erklärt DIW-Chef Fratzscher. Er rät dazu, die Investitionen anzukurbeln, um mehr Nachfrage – auch nach ausländischen Gütern – zu schaffen. Der Deutsche Gewerkschaftsbund seinerseits fordert eine Stärkung der Massenkaufkraft über höhere Löhne. Auch dies wäre ein Weg, die Importe zu erhöhen.

Was ist der Außenhandelssaldo?

Zieht man die Importe von Waren und Dienstleistungen von den Exporten ab, ergibt sich der Außenhandelssaldo. Sind die Exporte höher als die Importe, so ergibt sich ein Außenhandels-Überschuss.

Addiert man dazu die Erwerbs- und Vermögenseinkommen (z. B. Zinszahlungen an das Ausland und aus dem Ausland) sowie die Übertragungen (z. B. Entwicklungshilfe), erhält man den Leistungsbilanzsaldo. Er bildet quasi das Ergebnis des Geschäftsverkehrs mit dem Ausland ab.

Bei einem Leistungsbilanzüberschuss steigt das Auslandsvermögen eines Landes. Ein deutscher Überschuss von 250 Milliarden Euro bedeutet, dass sich das Ausland über weitere 250 Milliarden Euro bei Deutschland verschuldet hat. Das kann man auch so ausdrücken: Deutschland hat dem Ausland weitere 100 Millionen Kredit gegeben, es hat also für 100 Millionen an Kapital exportiert.

Ein Leistungsbilanzdefizit bedeutet: Ein Land verschuldet sich netto beim Ausland, es hat von dort Kapital importiert.