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Praxisnah Praxisnah: Einmal Maurerin sein

Von ANTONIE STÄDTER 22.06.2009, 18:32

FALKENSTEIN/MZ. - "Die Jungs gucken immer erstmal komisch, wenn sie an die Nähmaschinen sollen", erzählt Raumausstatter-Ausbilderin Annegret Parsch. "Aber am Ende sind sie ganz stolz." Heute sollen Taschen entstehen. Stich für Stich nehmen sie Form an, mancher indes geht daneben. Auch bei der 14-jährigen Anne Richter. "Als Raumausstatter muss man handwerklich wirklich sehr genau arbeiten", sagt sie. "Das ist nichts für mich." Sie muss es wissen: Mit ihren Klassenkameraden hat sie bereits zwei Schultage in diesem Bereich gearbeitet - mal wurde genäht, mal tapeziert.

In der Sekundarschule "Ludwig Gleim" aus Falkenstein im Harz, wo knapp 240 Kinder lernen, ist solch praxisorientierter Unterricht von der achten Klasse an Programm: Alle zwei Wochen sind die Schüler in dem Bildungszentrum zu Gast, in dem sonst auch Erwachsene unterrichtet werden. Dafür werden die Unterrichtsstunden in Wirtschaft und Technik sowie der Wahlpflichtkurse und der Klassenstunde auf diesen Werkstatt-Tag verlagert. Dort lernen die Jugendlichen verschiedene Gewerke kennen - von der Holzbearbeitung bis zum Trockenbau. Daneben gehen die Schüler der neunten und zehnten Klassen regelmäßig in einen Betrieb ihrer Wahl. Seit 2005 gibt es an der Schule diese Art der berufsorientierten Bildung, die zunächst vom Land gefördert und zwischenzeitlich von der Schule allein getragen wurde. Heute wird das Bildungszentrum dafür von der Arbeitsagentur unterstützt.

Mit dem Praxis-Unterricht soll die Quote jener niedrig gehalten werden, die ohne Abschlusszeugnis von der Schule abgehen. Jedoch nicht nur: "Uns geht es besonders darum, den Schülern möglichst viel beizubringen und Kontakte zu Betrieben in der Region zu vermitteln, damit jeder eine Lehrstelle bekommt", sagt Schulleiter Siegfried Göschel. "Sie sollen nicht nur in Berufe ,hineinschnuppern', sondern diese richtig kennenlernen."

Mit diesem Anliegen hatte die Sekundarschule in der Vergangenheit Erfolg: So liegt laut Göschel die Abbrecherquote seit dem Schuljahr 2006 / 2007 bei null - und das, obwohl an der Schule damals auch zwei Hauptschulklassen lernten. Zuletzt hätten zudem mehr als 90 Prozent der Zehntklässler eine Lehrstelle gefunden, fügt er hinzu.

"Vielfach gucken sich die Betriebe schon bei unseren Praxis-Tagen geeignete Bewerber aus", sagt Sabine Wichetek, die als Fachlehrerin für Wirtschaft und Technik mehrere Klassen betreut. So habe man mittlerweile gute Kontakte zu dem Technologiekonzern Linde in Ballenstedt, zum Novelis-Werk in Nachterstedt oder den Werkzeugmaschinenhersteller Schiess in Aschersleben. "Wir besuchen die Kinder regelmäßig in den Firmen, die sie sich ausgesucht haben", erzählt Wichetek. "Diese Erfahrungen steigern ihr Selbstbewusstsein ungemein." Dann wird der Lehrerin stolz der "Arbeitsplatz" vorgestellt. Die Motivation wächst.

Für die 13-jährige Tina Senftleben steht solch ein Praxis-Tag erst im kommenden Schuljahr an. Schon jetzt weiß sie allerdings, dass sie "nichts mit Computern machen" möchte. Das hätte sie früher nicht gedacht. Doch bei den Tagen im Bildungszentrum, bei denen auch Kalkulationen am PC auf dem Programm stehen, wurde ihr klar: "Ich will etwas Praktisches machen." Anne Richter indes, die dem Beruf des Raumausstatters wenig abgewinnen kann, träumt von einem Job im Büro: "Die Arbeit am Computer hat mir Spaß gemacht."

Nachdem einige Räume weiter der Mörtel angemischt wurde, legen die Schüler im Fach "Ökologisches Bauen" richtig los. Im Hintergrund dudelt Radiomusik, während sich die Jugendlichen nach Anleitung ihres Lehrmeisters an einem Mauerwerk im Glattputz, Rauhputz und Pinselputz versuchen. So wie die Jungs in dem Kurs nebenan an die Nähmaschine müssen, müssen hier auch die Mädchen mit zupacken. "Das ist Schwerstarbeit", sagt eine von ihnen. Die 14-jährige Julia Heinzel indes findet diesen Praxisbereich am besten von allen - oder anders ausgedrückt: "ziemlich cool".

Maurerin wird sie wohl trotz dieser Begeisterung nicht werden. "Ich möchte später mit Kindern arbeiten", sagt die Ballenstedterin. Und das klingt schon sehr entschieden.