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Wolfgang Schnur Wolfgang Schnur: Warten auf gute Tage

Von Steffen Könau 23.02.2001, 16:28

Berlin/MZ. - Schnur kann schweigen. Zumindest diesen einen, kleinen Moment lang, der sich in seinem Berliner Kellerbüro dehnt und dehnt und dehnt, während Wolfgang Schnur mit gesenktem Blick die Auslegware vermisst. Sekundenlang ist er wie gelähmt, schutzlos, stumm und ganz er selbst. Dann aber flackern die wasserblauen Augen wieder, die Arme heben sich, und Schnur schaltet den Wortwerfer an: "Meine Lebensgefährtin hat es nicht mehr ertragen, ihr wurde das zu viel, und so bin ich nun ein Einzelkämpfer."

Eine Rolle, die Wolfgang Schnur nicht schlecht gefällt. Dass er ganz oben war und dann abgestürzt ist, tiefer als irgendwer sich vorstellen kann; dass er die Macht verloren hat und den Beruf, sein Vermögen und das schmucke Haus in Hessenwinkel; dass alle Freunde ihm gekündigt haben und sein Ruf ruiniert ist, reichte wohl noch nicht, vermutet der Mann mit dem graumelierten Räuberbart. Schnur gefällt sich im Schmerz. "Ich muss den Kelch ganz austrinken, bis auf den letzten Tropfen."

Doch Wolfgang Schnur, Ex-Gleisbauer, Ex-Rechtsanwalt, Ex-Parteigründer, Ex-Anwärter auf den Posten des DDR-Ministerpräsidenten und Ex-Stasi-IM, schluckt schwer an der bitteren Brühe, die er sich selber angerührt hat. 21 Jahre alt ist er gewesen, als Mielkes Männer kamen. "Ich hatte", sagt Wolfgang Schnur, "vorher ein Jahr im Westen gelebt." Aufgewachsen als vermeintliche Vollwaise bei einen Landwirt auf Rügen, entdeckt der 16-Jährige nach dessen Tod, dass seine leibliche Mutter noch lebt. Sechs Tage vor dem Mauerbau fährt er hinüber in den Taunus - seine Träume aber vom Leben in einer heilen Familie erfüllen sich nicht. "Ich kam mir vor wie ein wandelnder Vorwurf an meine Mutter." Am Ende landet er wieder im Heim und beschließt, in die DDR zurückzukehren. Dort wartet das volle Programm. "Die wollten natürlich wissen, ob mich der Westen geschickt hat." Er gibt bereitwillig Auskunft und unterschreibt am Ende eine Verpflichtungserklärung. "Denn der Sozialismus, das war ja meine Sache", sagt er, "ich wollte nicht Anwalt werden, sondern Politbüromitglied." Die Staatssicherheit erkennt bald, was für einen toller Fang ihr da gelungen ist. Wolfgang Schnur ist intelligent, kann mit Menschen umgehen und hat keine Skrupel. Das Ministerium verhalf seinem fleißigen Mitarbeiter zu einer Zulassung als Einzelanwalt und positionierte ihn geschickt an der Nahtstelle zwischen Kirche, DDR-Opposition und Ausreiseantragsteller.

Wolfgang Schnur hat es nicht bemerkt und nicht bemerken wollen. Verhindern wollte ich, ruft er, dass andere genauso leiden, wie ich gelitten habe. "Mit meiner ganzen Geschichte als Kind einer jüdischen Mutter und Sohn eines von den Nazis ermordeten Vaters", findet Wolfgang Schnur, "bin ich doch Opfer des Krieges, da ist man mit einer Abscheu vor Gewalt geimpft." Schnurs Kampf ist einer an vielen Fronten. 14 Stunden in der Kanzlei, auf holprigen Straßen unterwegs zu allen Bezirksgerichten. "Mir haben sie die schweren Fälle geschickt, die kein Kollege zu vertreten gewagt hat." Schnur aber traut sich, denn "ich wollte den Menschen helfen".

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