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US-Wahl US-Wahl: Donald Trump will ein Bollwerk aus Mauern an der Grenze zu Mexiko

Von Damir Fras 09.10.2016, 20:33
Eine vier Meter hohe Grenzanlage  aus  Eisenstangen trennt in Texas die Vereinigten Staaten von Mexiko. Wo der Zaun steht, will US-Präsidentschaftskandidat Donald Trump eine Bollwerk aus Mauern schaffen.
Eine vier Meter hohe Grenzanlage  aus  Eisenstangen trennt in Texas die Vereinigten Staaten von Mexiko. Wo der Zaun steht, will US-Präsidentschaftskandidat Donald Trump eine Bollwerk aus Mauern schaffen. Polaris Images/laif

BROWNSVILLE - Der Herbst hat für Maria Cordero nicht gut angefangen. Die Dallas Cowboys haben das erste Spiel der neuen Football-Saison gegen die New York Giants 19:20 verloren. Als die 46 Jahre alte Frau die Stufen der Veranda ihres Hauses nach unten nimmt, um ihre Gäste zu begrüßen, lässt sich auf ihrem breitem Gesicht ablesen, wie sehr sie sich über die Niederlage ihrer Mannschaft ärgert. Das steigert sich, als das Gespräch auf Donald Trump kommt. Denn über den Populisten aus New York, der Präsident werden will, ärgert sie sich noch mehr. Vor Trump hat die in Mexiko geborene Frau regelrecht Angst. Aber sie hat die Absicht, alles zu tun, um ihn zu verhindern: „Wenn Trump Präsident wird, dann wird sich alles verändern, dann wird alles schlimmer.“

Maria Cordero lebt in einer Grenzstadt im Südosten von Texas. Von ihrem Garten aus kann sie die Befestigungsanlage sehen, die Brownsville von Matamoros in Mexiko trennt. Es ist ein vier Meter hoher Zaun aus rötlichen Eisenstangen, die in der Halbwüste in die Höhe ragen. In der Nacht kreisen Hubschrauber der Border Patrol über dem Grenzstreifen. Geht es danach, was Trump im Wahlkampf erzählt, dann soll der Zaun bald verschwinden und eine Mauer gebaut werden. Maria Cordero holt Luft und stößt mit einem verächtlichen Unterton aus: „Das ist doch Unsinn.“

Die wenigsten Bewohner des Grenzstreifens glauben, dass eine Mauer das Problem der illegalen Einwanderung in die USA lösen wird. Der ehemalige katholische Priester Mike Seifert, der eine grenzüberschreitende Hilfsorganisation leitet, sagt: „Man kann eine zwölf Fuß hohe Mauer bauen, das ist schon klar. Aber wer sie überwinden will, der baut einfach eine dreizehn Fuß lange Leiter.“ Das sei in der Vergangenheit geschehen, das werde auch in Zukunft passieren, ob da ein Zaun stehe oder eine Mauer. „Trump spielt nur mit der Angst der Menschen. Sein Erfolg macht mich sprachlos“, sagt der 62 alte Seifert, der mit seinem grau-weißen Bart ein bisschen an Sean Connery erinnert.

Die zweisprachige Stadt

In Brownsville lässt sich das Einwanderungsproblem gut studieren. Die Stadt hat eine doppelte Nationalität: Verkehrssprachen sind Spanisch und Englisch. Die Werbeplakate sind ebenfalls zweisprachig. An der Grenzbrücke über den Rio Grande steht unweit von englisch sprechenden Zöllnern ein Wanderprediger und betet laut auf Spanisch. Das schäbige Grenzhotel trägt den spanischen Namen „El Jardin“.

Weiße US-Amerikaner leben hier, US-Amerikaner mexikanischer Herkunft, Mexikaner mit Aufenthaltsgenehmigung. Und viele Menschen, die keine US-amerikanischen Papiere haben. Ihnen geben Trump und seine Anhänger den bürokratisch korrekten, aber dennoch hässlichen Namen  „illegal Aliens“. Das klingt auch auf Englisch, als seien diese Menschen Außerirdische vom Mars.

Maria Cordero, die 1994 mit Tochter Zenzette und Sohn José Eliud aus Mexiko kam und sich in Brownsville niederließ, hat solche Marsmenschen in ihrer Familie. „Von fünf Geschwistern, die in den USA leben, haben nur zwei eine Aufenthaltsgenehmigung“, sagt sie. Sie ist eine davon.

Maria Cordero sitzt am Esstisch ihres Hauses und erzählt, dass ihr heute 28 Jahre alter Sohn immer noch keine Dokumente habe, auch keinen Führerschein. Vor ein paar Jahren wurde das zum Problem. José Eliud fuhr Auto, war angeheitert, wurde von der Polizei angehalten und abgeschoben. Weil er aber seit dem fünften Lebensjahr in den USA gelebt hatte, kam der junge Mann in seinem Heimatland nicht mehr zurecht. „Er wirkte wie ein Ami, wie ein Gringo“, sagt seine Mutter. Er wollte zurück. Er versuchte, den Rio Grande zu überqueren, fiel Mitgliedern eines mexikanischen Drogenkartells in die Hände, die das Schmuggeln von Menschen im Nebengeschäft betreiben.

José Eliud wurde verprügelt und musste schließlich 1500 US-Dollar bezahlen, um sich von den Schmugglern über den Grenzfluss bringen zu lassen. „Die Coyoten“, zischt Maria Cordero hervor. Es klingt verächtlich und zugleich verängstigt. Die Coyoten – die gierigen Menschenschmuggler: „Mein Sohn sagt seit seiner Rückkehr: Lieber in den USA im Knast als in Mexiko in Freiheit.“

Nach dem 11. September 2001 veränderte sich alles

Im Auftrag der Bürgerrechtsorganisation ACLU berät Maria Cordero in Brownsville Menschen ohne Papiere rechtlich. Früher sei es viel einfacher gewesen, eine Aufenthaltsgenehmigung zu bekommen, sagt sie: „Es gab kaum Grenzkontrollen und auch keine Menschenschmuggler.“ In ihrem ersten Jahr konnte sie sogar noch mehr oder weniger problemlos zwischen beiden Ländern hin und her pendeln: Montagmorgens überquerte sie den Rio Grande nach Norden, um dort als Zimmermädchen, Babysitterin, Köchin und Kellnerin zu arbeiten. Die Jobs waren zwar schlecht bezahlt, aber immer noch besser als zu Hause. Die Wochenende verbrachte sie in Mexiko.

Doch seit den Anschlägen vom 11. September 2001 hat sich das verändert. Die USA igeln sich ein. Wer heute ein sogenannter „illegal Alien“ ist, der habe wenig Aussicht darauf, aus dem Schatten treten zu können, sagt Maria Cordero. Die demokratische Präsidentschaftskandidaten Hillary Clinton spricht zwar davon, den Schattenmenschen eine Perspektive geben zu wollen, damit sie ins Licht treten und US-Staatsbürger werden können. Doch daran ist schon Präsident Barack Obama gescheitert. Und Clintons Konkurrent Donald Trump kennt nur die Holzhammer-Methode. Er will, wenn er Präsident ist, die etwa elf Millionen Illegalen im Land abschieben.

Wenn Trump an diesem Sonntag zur zweiten Fernsehdebatte gegen Clinton antritt, dann wird es wahrscheinlich wieder um diese Pläne gehen. Und tags darauf wird Maria Cordero wieder um die Häuser ziehen und die Leute anhalten, sich als Wähler registrieren zu lassen. „Die Menschen, die keine Papiere haben, machen Druck auf ihre Familienangehörigen, die US-Staatsbürger sind. Sie sollen wählen gehen, damit Trump nicht Präsident wird“, sagt sie. Und tatsächlich sei die Zahl der Wählerregistrierungen im Vergleich zur letzten Wahl vor vier Jahren gewaltig angestiegen.

Oft fährt Maria Cordero mit ihrem Mann Rolando in das Viertel Bent Tree. Umringt von kargen Ackerflächen und endlosem Buschgras stehen dort mehr als 400 Häuser. Bis auf wenige Ausnahmen wohnen dort Latinos aus Mexiko und anderen Staaten Mittelamerikas. Mehr als die Hälfte der Bewohner ist nicht offiziell registriert. Es sind „Aliens“ – Marsmenschen, die in Texas gelandet sind und gelernt haben, die Lücken der Bürokratie für sich auszunutzen. So können Illegale in Texas Häuser kaufen, sofern sie bar bezahlen und keinen Kredit aufnehmen müssen, für den wiederum die Vorlage eines Ausweises nötig ist.

Einwanderer als billige Arbeitskräfte

Irgendwie dulden das die Behörden. Selbst in Texas, das seit vielen Jahren von einwanderungskritischen Republikanern regiert wird, herrscht noch die alte Überzeugung vor, dass das Land von Einwanderern gegründet wurde und auch weiterhin Einwanderer aufnehmen sollte, vor allem die billigen Arbeitskräfte, die jeden Job für wenig Geld machen. Noch gilt das. Wird Trump Präsident, könnte sich das schnell ändern.

Bent Tree ist ein besonderer Flecken. Es gibt nur eine Zufahrtsstraße, an der sich an manchen Tagen Grenzpolizisten demonstrativ mit ihren weiß-grünen Streifenwagen aufstellen. Dann erstirbt das öffentliche Leben. An diesem Morgen ist kein Grenzer zu sehen, doch Maria Cordero sagt, das könne sich ändern. „Wir haben eine Facebook-Seite eingerichtet, auf der sich Leute gegenseitig warnen, wenn eine Patrouille kommt.“

Das sind die Momente, in denen Jessica Martinez erstarrt. Die 24 Jahre alte Frau sitzt auf einem wackligen Stuhl im Wohnzimmer ihres Häuschens in Bent Tree. Sie hält ihren Sohn Jon auf dem Schoß. Das Kind schläft. Die Möbel sehen aus, als wären sie aus dem Second-Hand-Laden. Nur der Ventilator an der Decke ist ein Prachtstück aus echtem Holz. Das Geld ist knapp. Das Haus hat 20.000 Dollar gekostet. Ihr Mann verdient nicht viel.

Es gibt in Brownsville Hunderte von Geschichten wie jene von Jessica Martinez. Sie kam im Alter von sieben Jahren aus Mexiko nach Texas. Ihre Eltern hatten sich in Veracruz scheiden lassen, die Mutter entschloss sich auszuwandern. „Sie wollte, dass meine Schwester und ich ein besseres Leben haben. Sie arbeitete Tag und Nacht als Zimmermädchen in einem Hotel“, sagt Jessica Martinez mit leiser Stimme, um ihren Sohn nicht aufzuwecken.

Jessica ging zur High School, brach die Schule aber ab, als sie mit 17 schwanger wurde. 2009 bekam sie eine Aufenthaltsgenehmigung. Sie hat inzwischen drei Kinder, die alle in Texas zur Welt gekommen sind und deswegen automatisch US-Staatsbürger wurden. Übernächstes Jahr kann auch Jessica Martinez den blauen US-Pass beantragen. Das wird ihr Leben leichter machen.

In der Hand der Coyoten

Nur Jessicas Mann Josué wird das nicht helfen. Er ist illegal im Land. Im Jahr 2009 wurde er schon einmal abgeschoben. Er arbeitete auf einem Fischereiboot im Golf von Mexiko, als die US-Küstenwache den Kahn aufbrachte und Josué erst für einen Monat in Abschiebehaft steckte und schließlich nach Mexiko schickte. „Zwei Tage später war er wieder da“, sagt Jessica Martinez. Ihre müden Augen blitzen für einen Moment auf, als freue sie sich, dass ihr Mann dem System ein Schnippchen geschlagen hat: „Aber der Coyote hat 800 Dollar verlangt.“

Seither hat es Josué, der als Handwerker arbeitet, geschafft, den Grenzern zu entgehen. „Aber die Angst ist immer da. Er ist die ganze Zeit nervös“, sagt seine Frau Jessica. Manchmal traut er sich, mit dem Auto zur Arbeit zu fahren, obwohl auch er keinen Führerschein hat. „Meistens fahre ich ihn“, sagt Jessica, „vor allem dann, wenn am Ortseingang die Patrouille steht.“

Maria Cordero nickt jetzt bestätigend mit dem Kopf und sagt: „Das ist der Idealfall. Die Polizei darf Beifahrer in einem Auto zwar nach der Aufenthaltsgenehmigung fragen, aber sie hat kein Anrecht auf eine Antwort. Deswegen sage ich den Leuten immer: Schweigt, wenn euch die Polizei stoppt. Ihr mögt zwar keine Papiere haben, aber ihr habt trotzdem Rechte.“

Jetzt nickt Jessica Martinez vorsichtig, weil sich ihr schlafender Sohn auf ihrem Schoss bewegt. Sie sagt, dass sie sich manchmal, wenn die Sorgen zu viel würden, den Luxus erlaube zu träumen. Dann träumt sie, dass sie bald den US-Pass bekommt und dann einen Rechtsanwalt findet, der ihrem Mann bei der Einbürgerung helfen kann: „Wir wollen nach Dallas. Dort gibt es viel bessere Jobs.“

Am Abend des 8. November wird sie wissen, ob ihr Traum in Erfüllung gehen kann. An diesem Tag wird in den USA der neue Präsident gewählt.