Trumps unberechenbare Syrien-Politik Trumps unberechenbare Syrien-Politik: Der Präsident ist emotional aufgewühlt

Washington - Die Analyse war scharf und vernichtend: „Für alle die Verrückten, die Syrien angreifen wollen: Die USA haben das unverzichtbare Überraschungsmoment verloren. Das ist so dumm. Es könnte im Desaster enden“, attackierte Donald Trump in einem Tweet die öffentlichen Debatten unter der damaligen Obama-Regierung.
Das war vor viereinhalb Jahren. Am Mittwoch tat er als Präsident genau dasselbe: „Russland hat geschworen, alle Raketen abzuschießen, die auf Syrien abgefeuert werden. Mach’ Dich bereit, Russland, denn sie werden kommen“, kündigte Trump über Twitter an.
Die Androhung eines Militärschlags über den Kurznachrichtendienst ist höchst ungewöhnlich. In der Sache überraschend kam sie nicht. Bereits kurz nach dem mutmaßlichen Giftgasangriff in Duma hatte der US-Präsident erklärt: „Wir dürfen so etwas nicht durchgehen lassen“.
Am Montag versammelte er die militärische Führung des Landes im Weißen Haus, um über Reaktionen zu beraten. Später sagte er eine für dieses Wochenende geplante Lateinamerika-Reise ab. Alle Optionen lägen auf dem Tisch, hatte seine Sprecherin erklärt.
Doch auch am Mittwoch blieb zunächst völlig unklar, wie die militärische Reaktion aussehen könnte. Nach einem Giftgaseinsatz vor einem Jahr hatten die USA einen Militärflugplatz in Syrien mit 59 Marschflugkörpern beschossen.
Doch die Aktion verfehlte die gewünschte Wirkung: Schon am nächsten Tag hoben dort wieder die ersten Maschinen ab. Nach amerikanischen Medienberichten herrscht im Weißen Haus die Sorge, dass ein erneuter punktueller Schlag ähnlich verpuffen könnte.
Neuer Militärschlag könnte mehrere Tage dauern
Die New York Times berichtet unter Berufung auf ungenannte Regierungsbeamte, ein neuer Militärschlag solle deshalb umfangreicher sein. Denkbar sei, dass mehr als ein Ziel angegriffen werde und die Operation mehrere Tage dauere.
In den vergangenen Tagen hat sich Trump telefonisch mehrfach mit dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron beraten. Auch Großbritannien, Saudi-Arabien und Katar hatten eine starke Reaktion gefordert.
Allerdings verweisen Experten im Pentagon darauf, dass Syrien anders als die Taliban in Afghanistan oder die Terrororganisation Islamischer Staat über eine wirksame Luftabwehr verfügt.
Sollten die USA oder Frankreich also Bomber- oder Kampfflugzeuge schicken, um möglichst punktgenau strategisch wichtige Ziele in Syrien zu zerstören, könnten die Maschinen abgeschossen werden und die Piloten ums Leben kommen, was den Konflikt dramatisch ausweiten würde. Ohnehin ist die Gefahr einer Eskalation groß, da Russland und der Iran den syrischen Machthaber Baschar al-Assad unterstützen.
Doch Trump fehlt bislang nicht nur ein Plan für einen wirksamen Vergeltungsschlag, der nach Meinung der oppositionellen Demokraten unverzichtbar vom Kongresses gebilligt werden muss. Er hat erkennbar auch keine Strategie und befindet sich zudem angesichts der Zuspitzung seiner heimischen Affären in einer offenbar prekären psychischen Verfassung.
Nach dem Raketenangriff im vergangenen April hatte er monatelang das Interesse am Syrien-Konflikt verloren, der in seiner Politik keine Rolle mehr spielte. Im Gegenteil: Erst in der vergangenen Woche kündigte der Präsident überraschend an, er wolle die dort für den Kampf gegen den Islamischen Staat stationierten 2000 Soldaten bald abziehen.
Davon ist nun keine Rede mehr. Seit dem Wochenende erregt sich Trump über das „Tier“ Assad, „das sein Volk tötet und das genießt“. Er droht mit Konsequenzen und geht dabei auch Assads Verbündeten Russland ungewöhnlich hart an.
Vor wenigen Tagen kritisierte er dessen Präsident Wladimir Putin erstmals auf Twitter und erinnerte ihn an seine Verantwortung. „Unsere Beziehung zu Russland ist schlechter als sie es je war“, twitterte er am Mittwochmorgen.
„Es gibt die Theorie, das Unberechenbarkeit ein hilfreiches diplomatisches Werkzeug sein kann“, ätzte die ehemalige US-Außenministerin Madeleine Albright in der Zeitung USA Today: „Aber permanente unberechenbare Unberechenbarkeit macht es für andere schwierig, unserer Politik zu folgen.“
Trump aufgebracht wegen Razzia bei seinem Anwalt
Vor seiner Breitseite gegen Russland hatte der US-Präsident im Morgengrauen schon mehrere Tweets gegen die angebliche Lügenpresse und die Russland-Ermittlungen abgefeuert. „Es gibt keine Zusammenarbeit (mit Russland, d. Red.) oder Behinderung (der Justiz, d. Red.), außer dass ich mich wehre“, wetterte er: „Und nun machen sie das Undenkbare und durchsuchen das Büro eines Anwalts nach Informationen. Schlimm!“
Nach amerikanischen Medienberichten ist Trump tatsächlich deutlich mehr über die Razzia wegen dubioser Schweigegeldzahlungen an seine Ex-Affäre Stormy Daniels aufgebracht als über den mutmaßlichen syrischen Giftgaseinsatz.
Der Präsident soll am Dienstag hinter verschlossenen Türen stundenlang geschäumt haben. Die New York Times zitiert zwei Augenzeugen, die von einer „Kernschmelze“ sprechen.
Langjährige politische Beobachter sind hochbesorgt
Vor diesem Hintergrund sind langjährige politische Beobachter in den USA hochbesorgt, dass ein emotional aufgewühlter und politisch angeschlagener Präsident seine Temperamentsschwankungen nun außenpolitisch ausleben könnte.
Tatsächlich schlug Trump am Mittwoch einen wirren Bogen vom Konflikt mit Russland in Syrien bis zur Arbeit des Sonderermittlers Robert Mueller. „Viel böses Blut mit Russland ist durch die falsche und korrupte Russland-Ermittlung entstanden. (…) Mueller hat größte Interessenskonflikte“, twitterte Trump kurz nach der Ankündigung des Militärschlags.