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Swinemünde Swinemünde: Zehntausende Flüchtlinge wähnten sich schon in Sicherheit

Von Axel Büssem 07.03.2005, 09:18
Die Gedenkstätte auf dem Golm, einem Hügel bei Kamminke auf der Insel Usedom (Archivfoto vom 16.11.2001). Sie erinnert an die rund 23.000 Opfer, die bei einem alliierten Luftangriff am 12. März 1945 in Swinemünde (heute Swinoujscie/Polen) umgekommen sind. 671 Bomber der 8. US-Luftflotte hatten mehr als 1600 Tonnen Bomben über der Stadt abgeworfen. Die Gedenkstätte Golm ist eine der größten Kriegsgräberstätten des Zweiten Weltkriegs in Deutschland. Anfang März 1945 hatten sich in und um Swinemünde 700.000 Flüchtlinge, Einheimische und Soldaten aufgehalten. Jeweils am 12. März und am Volkstrauertag werden auf dem Golmfriedhof Gedenkfeiern abgehalten. Nur 1667 Opfer sind namentlich bekannt. (Foto: dpa)
Die Gedenkstätte auf dem Golm, einem Hügel bei Kamminke auf der Insel Usedom (Archivfoto vom 16.11.2001). Sie erinnert an die rund 23.000 Opfer, die bei einem alliierten Luftangriff am 12. März 1945 in Swinemünde (heute Swinoujscie/Polen) umgekommen sind. 671 Bomber der 8. US-Luftflotte hatten mehr als 1600 Tonnen Bomben über der Stadt abgeworfen. Die Gedenkstätte Golm ist eine der größten Kriegsgräberstätten des Zweiten Weltkriegs in Deutschland. Anfang März 1945 hatten sich in und um Swinemünde 700.000 Flüchtlinge, Einheimische und Soldaten aufgehalten. Jeweils am 12. März und am Volkstrauertag werden auf dem Golmfriedhof Gedenkfeiern abgehalten. Nur 1667 Opfer sind namentlich bekannt. (Foto: dpa) dpa-Zentralbild

Usedom/dpa. - «Als um 11.00 Uhr die Sirenen heulten, machten wir uns zunächstkeine großen Sorgen, weil es zuvor schon so oft Fehlalarm gegebenhatte», erinnert sich die Publizistin Carola Stern, die den Angriffals 19-Jährige miterlebt hat. «Als dann eine halbe Stunde später dieersten Bomben fielen, zog mich ein Soldat zu Boden und wir robbten ineine Waschküche. Ich dachte, meine letzte Stunde hätte geschlagen.»In ihrem Versteck fand die junge Frau Trost bei einer Berlinerin, dieschon zahlreiche Angriffe auf die Hauptstadt mitgemacht hatte. «Sieerklärte, dass Bomben, die man pfeifen hört, woanders einschlagen.»

Rund eine Stunde dauerte der Angriff. «Die Stadt war danach eineeinzige Schutthalde. Auf den Straßen lagen überall tote Menschen undPferde sowie Hausrat aus den Wagen der Flüchtlinge.» Viele von ihnenstarben, weil sie ihre Habseligkeiten während es Angriffs nichtalleine lassen wollten. Die grauenhaften Szenen raubten Stern fastden Verstand: «Ich lief mit einem irren Lachen durch die Stadt. ImStadtpark lagen überall abgerissene Köpfe und Gliedmaßen, weil dieBomben mitten unter die Menschen gefallen waren, die dort Schutzgesucht hatten.»

Erwin Rosenthal, damals fünf Jahre alt, befasste sich späterausgiebig mit dem Angriff. Rosenthals Familie verlor bei demBombardement ihren gesamten Besitz. «Als der Alarm losging, liefenwir von unserer Wohnung zwei Häuser weiter zu meiner Großmutter. Kurzdarauf zerstörte eine Bombe unser Haus und das Haus meiner Großmutterwurde schwer beschädigt.» Er selbst stürzte in den Keller, wie durchein Wunder überlebten er und die ganze Familie. «Ich konnte sehen,wie um uns herum alles in Trümmer fiel oder Feuer fing. Wir sahenSchwerverletzte, die durch die Straßen humpelten und vor Schmerzschrien.» Heute versuchen er und sein polnischer Co-Autor JózefPlucinski, das Trauma des Angriffes und des Verlustes der Heimat aufeiner Internetseite über Swinemünde zu verarbeiten.

Die Bombenopfer fanden ihre letzte Ruhestätte auf dem Golm, einemHügel außerhalb der Stadt, der vor dem Krieg ein beliebtesAusflugsziel der Swinemünder war. Viele tausend Tote wurden dortbestattet, die meisten anonym in Massengräbern. «Die Kinderleichenwurden zuvor im Hafen der Größe nach sortiert und gestapelt»,erinnert sich Stern. Auch sie verurteilt den Angriff: «Dafür habe ichlange gebraucht. Schließlich hat Deutschland den Krieg angefangen.Als ich als junges Mädchen in der Wochenschau die deutschen Pilotenbei ihren Angriffen gesehen habe, habe ich auch kein Grauenempfunden, sondern eher Stolz. Ich dachte daher, ich hätte keinRecht, andere zu verurteilen. Aber eine Stadt voller Flüchtlingen sokurz vor Kriegsende zu zerstören, war ein schweres Unrecht.»