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Serbien Serbien: Radovan Karadzic lebte unerkannt in aller Öffentlichkeit

23.07.2008, 09:41
Die Bildkombo mit Fotos der Belgrader Zeitschrift 'Healthy Life' zeigt den früheren bosnischen Serbenführer Radovan Karadzic mit schulterlangem weißen Haar, Vollbart und Brille. (Foto: dpa)
Die Bildkombo mit Fotos der Belgrader Zeitschrift 'Healthy Life' zeigt den früheren bosnischen Serbenführer Radovan Karadzic mit schulterlangem weißen Haar, Vollbart und Brille. (Foto: dpa) HEALTHY LIFE

Belgrad/dpa. - Politiker, Experten und Hinterbliebene beschriebenihn als «Schlächter» und «Massenmörder», der den Tod Zehntausenderund die Verwundung Hunderttausender auf dem Gewissen hat. Doch diePatienten von Radovan Karadzic alias Dr. Dragan David Dabicbeschreiben ihn als charismatisch, gütig und langmütig. Der angeblichwie vom Erdboden verschluckte mutmaßliche Kriegsverbrecher lebte inganz Serbien in aller Öffentlichkeit: Mit Visitenkarte,E-Mail-Adresse, eigener Internetsite, zwei Handynummern und eigenerArztpraxis in Belgrad.

Noch am 23. Mai hatte er als «Alternativmediziner» einendreiviertelstündigen Vortrag auf dem «Festival gesundes Leben»gehalten. Und das fand in Belgrad beliebtestem Ausflugsziel «AdaCiganjlija» am Save-Fluss statt. Der Experte für «Bioenergie» hattesich eine eigene Biografie zurecht gelegt: Ausgedehnte Studienalternativer Heilpflanzen und -methoden in China und Indien.Jahrzehntelanges Leben in den USA, wo er im wahren Leben einmal einknappes Jahr studiert hatte. Seine dort zurückgelassene geschiedeneFrau rücke aus «Rache» seine Universitätsdiplome als Mediziner nichtheraus, konnte er glaubhaft versichern.

Dass er trotz aller Öffentlichkeit unerkannt blieb, verdankteKaradzic seiner geänderten Identität. Abgemagert, in Naturfaserngekleidet, stets mit Hut und großer Brille. Ungewöhnlich seinemanchmal zum Zopf und Knoten gebändigte Haarmähne und sein weißerRauschebart. Seine Patienten sehen in ihm den «Typ indischer Guru».Die Belgrader Medien berichten oft über die Auftritte von Dr. Dabic,der das Motto ausgegeben hatte: «Hilfe gibt es immer». Der einstmächtigste Mann in Bosnien lebte bescheiden und zurückgezogen ineiner Zwei-Zimmer-Mietwohnung in Neu-Belgrad. Die Monatskarte für dieBelgrader Nahverkehrsbetriebe GSP kaufte er selbst.

Er war Stammgast in der Kneipe «Irrenhaus» in seinem Wohnviertel.Hier saß er oft stundenlang und lauschte der dort populärenVolksmusik. Gespräche vermied der einsilbige Mann, erinnern sich dieGäste. Einmal schnappte er sich sogar die Gusla, das einsaitigetypische Streichinstrument der Balkanländer. Dann trug erein Volkslied vor. Er nahm immer an der gleichen Stelle Platz. Stetsdie großen Fotos von Karadzic und dessen Militärchef Ratko Mladic ander Wand im Blick, die hier immer noch verehrt werden.

Der sanfte Greis mit der weißen Haarpracht war immer in Begleitung«schöner Frauen», berichten die Belgrader Zeitungen am Mittwoch. Einegepflegte Frau mittleren Alters wird mit einem Foto gezeigt. Das seifür Karadzic «die Liebe seines Lebens». Von dem Verantwortlichen fürdie größten Kriegsverbrechen in Europa seit dem Zweiten Weltkriegwird ein durch und durch warmes und idyllisches Bild gezeichnet: Erheilte durch Handauflegen und verdiente ein bescheidenesZusatzeinkommen durch den Verkauf von Magneten gegen Schmerzen.