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Sachsen-Anhalt Sachsen-Anhalt: Der große Leerlauf im Jugendarrest

Von Hendrik Kranert-Rydzy 22.03.2013, 21:24
Der Jugendarrest ist als erzieherische Maßnahme gedacht.
Der Jugendarrest ist als erzieherische Maßnahme gedacht. Andreas stedtler Lizenz

Halle/MZ - Sie drängen sich um eine Tischtennisplatte, die im Hof steht. Mitten im Schnee, umgeben von meterhohen Backsteinmauern des halleschen Gefängnisses „Roter Ochse“. Es ist Freigang in der Jugendarrestanstalt, eine Stunde frische Luft für die meist 14 bis 18-jährigen Insassen. Eine Stunde Abwechslung in einem sonst öden Alltag, der sich meist in einer Zelle für zwei Personen abspielt.

Jugendarrest ist das letzte Signal des Staates für jugendliche Straftäter, das vor der Strafhaft steht. Er kann von einem Wochenende bis zu einem Monat dauern. Den Arrest antreten müssen Jugendliche, die wegen kleinerer Delikte wie etwa Diebstahl aufgefallen sind. Jugendarrest ist ausdrücklich keine Strafe sondern eine erzieherische Maßnahme. „Es geht um die Vermittlung von Konsequenzen, weniger um das Einsperren“, sagt Martina Leske. Sie ist Jugendrichterin am Amtsgericht Halle und in dieser Funktion gleichzeitig Vollzugsleiterin im Jugendarrest. So will es das Gesetz.

Im Jugendarrest gehe es um Motivation, um pädagogische und sozialpädagogische Arbeit. Es gehe darum, dass etwa Jungen lernen, dass sie mit ihren Händen nicht nur Bierflaschen in Bushaltestellen schleudern können. „Sondern Dinge erschaffen, Erfolgserlebnisse haben, die ihnen in der Schule fehlen“, sagt die 45-Jährige. Das ist die Theorie dieses Jugendarrests. Die Praxis in Halle sieht anders aus: „Wir können all’ das nicht leisten“, räumt Leske ein. Und das seit Gründung der Arrestanstalt vor genau 20 Jahren.

Im Prinzip fehlt es in Halle an allem: Eine Werkstatt etwa, folglich jede Möglichkeit für handwerkliche Betätigung. Unterricht findet nicht statt - weil es keinen Lehrer gibt. Wer also für bis zu vier Wochen einsitzen muss, versäumt in dieser Zeit Schulstoff.

Besonders absurd ist das für jene Jugendlichen, die wegen Schulschwänzens quasi als Ersatz für nicht gezahltes Bußgeld oder geleistete Arbeitsstunden in den Arrest müssen. Es gibt auch keinen Sportlehrer oder Trainer - folglich auch kein entsprechendes Freizeitangebot. Ein einstündiges Anti-Aggressionstraining - eigentlich eine Selbstverständlichkeit in einer solchen Einrichtung - kann nur angeboten werden, weil der Förderverein des Jugendarrestes die Kosten übernimmt.

Was bleibt ist die Zelle, in der die Jugendliche meist sitzen. Oder ein Sportboden unter dem Dach mit Billard, Kicker, Tischtennis und zwei Spielkonsolen. Immerhin: Der Raum wurde im vergangenen Jahr frisch gemalert, wie auch in vielen Fluren die Ölsockel frischem Pastell gewichen sind. Und in den Zellen gibt es einen neuen Fußbodenbelag - auf den Fluren ist es noch immer Linoleum aus DDR-Zeiten. „Vor einem Jahr hätte ich Sie nur ungern hier hereingelassen“, sagt Leske - es klingt fast wie eine Entschuldigung.

Auch um die sonstige Betreuung ist es schlecht bestellt. Zwar betont Justizministerin Angela Kolb (SPD), es gäbe im Jugendarrest 14 Vollzeitstellen, inklusive zweier Sozialarbeiter. Doch die stehen Leske zufolge nur auf dem Papier zur Verfügung: Statt 14 seien es nur zehn Vollzeitkräfte, zwei davon nicht tauglich für den Nachtdienst. Am Wochenende schiebe einer allein Dienst - dann stünden selbst die rudimentären Freizeitangebote nicht zur Verfügung. Der eine Sozialarbeiter könne als solcher nicht arbeiten, weil er de facto Anstaltsleiter ist und ohne Sekretärin den gesamten Schreibkram erledigen müsse.

Es bleibe eine Sozialarbeiterin mit halber Stelle, die montags, mittwochs und freitags komme und die Bibliothek betreibe. Genug Zeit, um mit allen Insassen intensive Gespräche zu führen, besteht also nicht. Und erst Recht gibt es keine Gelegenheit, die Entlassungen vorzubereiten; an den Heimatorten der Betroffenen Kontakte aufzubauen und Ansprechpartner zu vermitteln. Die Folgen: Jugendarrest bewahrt nicht vor dem Knast. 40 Prozent der Arrestanten - 523 Männer und 122 Frauen waren es im vergangenen Jahr - sitzen mehr als einmal in Halle ein. Mit im Bundesdurchschnitt 65 Prozent noch höher liegt die Quote bei jenen Arrestanten, die erneut straffällig werden und dann mit regulären Haftstrafen konfrontiert sind.

„Der Arrest verkommt zur Abschreckung, genau das soll aber nicht sein“, konstatiert Leske. Um das zu ändern, müssten die Rahmenbedingungen für den Jugendarrest dringend verbessert werden - doch das kostet Geld. „Die Politik im Land muss entscheiden, was sie will“, sagt Leske. Aber die Politik tut sich schwer.