Russische Bomber über der Nordsee Russische Bomber über der Nordsee: Ein normaler militärischer Vorgang

Halle (Saale)/MZ - In der vergangenen Woche ist ein Flug russischer Militärflugzeuge über der Nordsee und die Reaktion der angrenzenden Nato-Staaten zum Auslöser großangelegter Berichterstattung in der amerikanischen und europäischen Presse geworden. Vor dem Hintergrund der Krise in der Ukraine und dem verbalen Säbelrasseln Russlands und des Westens könnte dieser Zwischenfall je nach Sichtweise als Provokation des russischen Bären oder als Überreaktion westeuropäischer Militärs gedeutet werden. Alternativ könnte man das ganze Geschrei auch unaufgeregt als das ansehen, was es ist: ein normaler militärischer Vorgang über der Nordsee, der seit vielen Jahren zwar nicht täglich, dafür aber mit Regelmäßigkeit geschieht. Bis letzte Woche hat das nur keinen in Europa interessiert - von einigen Fluglotsen und den Offizieren der militärischen Luftraumüberwachung einmal abgesehen.
Luftraumüberwachung ist Routine
Es gibt kein rotes Rundumlicht in der niederländischen Operationszentrale der militärischen Luftraumüberwachung. Der Einsatz beginnt mit den Worten „Scramble - scramble - scramble“, die aus den Lautsprechern in den Operationszentralen quäken. Was täglich trainiert wird, ist nun Ernst. Dieser Flug der beiden F16 „Fighting Falcon“ vom Stützpunkt Volkel ist ein scharfer Einsatz für die permanent einsatzbereiten Jagdflugzeuge der Nato. Meist sind die Ziele Linienmaschinen, die aus verschiedensten Gründen den Funkkontakt zur zivilen Flugsicherung verlieren - nach dem 11. September 2001 lagen auch in Europa die Nerven blank, mehrmals in der Woche starteten Jäger zur Sichtidentifizierung und Klärung von Problemen.
Auch in Deutschland stehen im Norden und Süden jeweils zwei Eurofighter in Startbereitschaft - fünfzehn Minuten dürfen ihre Besatzungen vom Alarm bis zum Start brauchen. Heute geht man entspannter mit zivilen Zwischenfällen am Himmel um - immerhin kostet jeder Start der Alarmrotte eine nicht unerhebliche Summe an Steuergeldern. Beinahe jede Nation innerhalb des atlantischen Verteidigungsbündnisses hat so eine Luftpolizei - Exoten wie Luxemburg und Island oder Neulinge wie das Baltikum werden von den Nato-Partnern beschützt. Dabei überwachen die Militärs aber nicht nur den Luftraum über dem eigenen Territorium, sondern auch weit darüber hinaus. Bis zur Zwölf-Meilen-Zone gelten die Souveränitätsrechte des jeweiligen Landes, hier braucht man eine Erlaubnis zum Einflug - vor allem mit fremdländischen Militärmaschinen. Darüber hinaus haben die Nato-Staaten einen erweiterten Verantwortungsbereich, den es zu überwachen gilt - der gilt aber trotzdem als internationaler Luftraum. De facto darf hier jeder fliegen - die Freiheit der hohen See gilt entsprechend auch in der Luft.
Die Wiederaufnahme von Übungsflügen russischer Langstreckenbomber weit über die Grenzen Russlands hinaus hat Wladimir Putin schon vor einigen Jahren angeordnet. Dabei hat sich an dem Vorfall am vergangenen Mittwoch qualitativ nichts zu anderen Flügen in der Vergangenheit geändert. „Es gab keine Veränderung zu den anderen Tu-95-Flügen, die ein paar Mal im Jahr vorkommen“, so der niederländische Luftwaffensprecher Wilko Ter Horst.
Begehrte Fotos aus den Cockpits
Die beiden Tupolev Tu-95MS mit dem Nato-Codenamen „Bear Hotel“ sind dabei sehr wahrscheinlich von ihrer Heimatbasis im russischen Engels an der Wolga auf einem Nordkurs um Skandinavien herum und dann permanent über internationalen Gewässern fliegend bis in die südliche Nordsee vorgedrungen. Den Angaben des russischen Militärsprechers Oberst Igor Klimov zufolge wurden die beiden hoch und schnell fliegenden Propellermaschinen dabei von Jagdflugzeugen vom Typ Mig?31 sowie von einer Berijew A-50 begleitet, einer russischen Variante der Awacs-Frühwarnflugzeuge. Zuletzt durften sich die Japaner über Fotos aus den Cockpits ihrer Jagdmaschinen freuen. Dort schauen die russischen Fernflieger auch gern vorbei. In Luftwaffenkreisen sind die Fotos und Videos aus den Cockpits der eigenen Jäger überaus begehrt - hin und wieder finden sie auch den Weg ins Internet.
Regelmäßig bekommt die deutsche, dänische und polnische Luftwaffe auch inoffiziellen Besuch von russischen IL-20-Aufklärern über der Ostsee, regelmäßig treffen die im Rotationssystem im Baltikum stationierten Jagdflugzeuge der Nato-Partner auf russische Militärmaschinen in den engen Korridoren internationalen Luftraums zwischen Finnland und St. Petersburg. Zuletzt machten deutsche Eurofighter über der Ostsee Schlagzeilen, als sie eine russische Awacs abfingen - und gleich danach stiften gingen, als sich der Begleitschutz am Horizont blicken ließ.