Prozess Prozess: 3.000 Euro für Kindsmörder
FRANKFURT (MAIN)/MZ. - Die Klägerbank am Landgericht Frankfurt blieb leer. Magnus Gäfgen war zur Urteilsverkündung nicht erschienen. Ob der Häftling nicht kommen durfte oder ob er freiwillig verzichtete? Jedenfalls verpasste er ein Aufsehen erregendes Urteil, das ihm zumindest im Kern Recht gab.
Das Land Hessen muss dem heute 36-jährigen Kindsmörder 3 000 Euro Entschädigung zahlen, so die Zivilkammer unter Richter Christoph Hefter. Die Entschädigung ist als Ausgleich für die Folterdrohung gedacht, die der ehemalige Frankfurter Polizei-Vize Wolfgang Daschner vor neun Jahren gegen Gäfgen angeordnet hatte.
Das Urteil ist eine neue Wendung in einem der dramatischsten Kriminalfälle dieses Landes. Im Herbst 2002 hatte der damals 27-jährige Jurastudent Gäfgen aus Geldgier den Frankfurter Bankierssohn Jakob von Metzler entführt und ermordet. Als Gäfgen festgenommen wurde, wusste die Polizei noch nicht, dass der elfährige Junge bereits tot war. Gäfgen log und führte die Polizei an der Nase herum. Da entschied Daschner, dass Gäfgen Schmerzen angedroht und notfalls zugefügt werden sollten. Er setzte sich dabei über den Willen der übrigen Polizeiführer hinweg, die noch andere, legale Möglichkeiten sahen, Gäfgen zum Sprechen zu bringen.
Das konkrete Verhör führte dann Kommissar Ortwin Ennigkeit aus. Er drohte Gäfgen mit Schmerzen, "wie er sie noch nie verspürt" habe, ein "Spezialist" sei im Hubschrauber schon unterwegs. Darauf gab Gäfgen schnell den Fundort des Jungen preis. Im Juli 2003 wurde Gäfgen zu lebenslanger Haft verurteilt. Er sitzt seit neun Jahren im Gefängnis Schwalmstadt.
"Durch die Androhung der Schmerzzufügung haben Beamte des Landes Hessen in die Menschenwürde, die das höchste Verfassungsgut darstellt, eingegriffen", sagte der Richter Hefter. "Es ist gänzlich unerheblich, dass der Kläger vorher eine Straftat begangen hat. Das Recht auf Achtung der Menschenwürde kann auch dem Straftäter nicht abgesprochen werden." Die Richter hielten aber 3 000 Euro Entschädigung für ausreichend, weil die Drohung zwar ernst gemeint, wegen der schnellen Aufgabe Gäfgens jedoch nicht umgesetzt wurde. Außerdem sei es den Polizisten nicht um eine gezielte Erniedrigung Gäfgens gegangen, sondern um eine Rettung des vermeintlich noch lebenden Kindes.
Gäfgen und sein Anwalt hatten ursprünglich mindestens 10 000 Euro Schmerzensgeld verlangt. Allerdings lehnte das Landgericht nun die meisten der Punkte ab, auf die sich die Klage stützte. So habe Gäfgen nicht beweisen können, dass Ennigkeit ihn während des entscheidenden Verhörs auch gestoßen und geschlagen habe. Die von Gäfgen angeführten blauen Flecken hätten auch bei der Festnahme entstanden sein können.
Auch eine andere Behauptung Gäfgens ließ sich nicht belegen. Danach habe Ennigkeit gedroht, er werde ihn "mit zwei großen schwarzen Negern in eine Zelle stecken", die ihn dann vergewaltigen würden. Da habe Gäfgen möglicherweise etwas missverstanden, meinten die Richter.
Gäfgen bekommt auch kein Schmerzensgeld für die von ihm behaupteten psychischen Probleme. Zwar bestätigte der renommierte Münchener Gerichtspsychiater Norbert Nedopil, in einem Gutachten, dass Gäfgen tatsächlich an einer "posttraumatischen Belastungsstörung" leide. Allerdings, so die Richter sei nicht erwiesen, dass dies Folge der Folterdrohung und der dadurch ausgelösten Ohnmachtsgefühle ist. Wahrscheinlicher sei, dass Gäfgen darunter leide, dass er seine Lebensperspektive verloren habe. Auch habe er das Sterben eines Menschen verursacht und miterlebt.
Gäfgen wird von den 3 000 Euro möglicherweise wenig haben. Das Gericht brummte ihm nämlich 80 Prozent der Gerichts- und Anwaltskosten auf, weil so viele der von ihm vorgebrachten Punkte abgelehnt wurden.
Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Vermutlich werden sowohl das Land als auch Gäfgen Rechtsmittel beim Oberlandesgericht Frankfurt einlegen.
Anwalt Heuchemer hatte bis zuletzt versucht, das Urteil zu verhindern, weil er noch weitere Beweise zur Verantwortlichkeit hessischer Politiker und hoher Polizeiführer erheben wollte. Als dies abgelehnt wurde, reichte er Anfang der Woche einen Befangenheitsantrag gegen das Gericht ein. Dieser wurde von den Richtern als "rechtsmissbräuchlich und damit unzulässig" abgelehnt.