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Protestanten Protestanten: Suche nach dem Menschen

Von HARALD BISKUP 20.05.2009, 17:24

BREMEN/MZ. - Und zwei evangelikalangehauchten Gruppen wurde untersagt, aufdem "Markt der Möglichkeiten" für ihr Anliegenzu werben. Ihr zum Teil aggressives Eintretenfür die umstrittene Missionierung von Judenpasse nicht zum Profil des Kirchentags, dasauf Offenheit und Dialog ausgerichtet sei.Deutlicher als je zuvor will man bei dem viertägigenfrommen Festival, zu dem sich hunderttausendeDauerteilnehmer angemeldet haben, christlichenFundis den Kampf an sagen.

Die Veranstalter lobten sich bei einer Pressekonferenzan Bord der "Cap San Diego", dem laut Prospektgrößtem fahrtüchtigen Museums-Frachtschiffder Welt, gestern selbst für ihren Weitblick:Das vor anderthalb Jahren kreierte biblischeKirchentags-Motto "Mensch, wo bist du?" habesich im Nachhinein als "prophetischer Glücksfall"erwiesen, meinte Pastor Renke Brahms von dergastgebenden Bremischen Kirche. Das Ende der"Neid-und-Gier-Phase" scheine gekommen, sekundierteKirchentagspräsidentin Karin von Welck, imHauptberuf Hamburger Kultursenatorin. In Bremensollen Maßstäbe für eine "neue Verantwortungsgesellschaft"entwickelt werden.

Von den fast zweieinhalbtausend Veranstaltungengreifen, anders als im Vorfeld vollmundigangekündigt, aber nur ganz wenige das ThemaFinanzkrise und ihre sozialen Auswirkungenauf. Dem Vernehmen nach war die Neigung inden Chefetagen der deutschen Wirtschaft äußerstgering, Repräsentanten nach Bremen in denRing zu schicken. BDI-Präsident Hans-PeterKeitel ist zwar im Programm vertreten, aberals Gast bei einem vergleichsweise wenig kontroversenBildungs-Forum mit dem schönen Titel "DasBeste für unser Kind?"

Der Crash wird weitgehend ausgeblendet,zwei prominent besetzte Podien immerhin gibtes. So wird Helmut Schmidt mit WeltbankpräsidentRobert B. Zoellick über "Verantwortung inder globalen Krise" plaudern. Das reiche,der Kirchentag sei schließlich nicht das Weltwirtschaftsforum,wiegelt Generalsekretärin Ellen Ueberschärentsprechende Einwände ab.

Immer schon sind Kirchentage ein beliebtesTummelfeld für Spitzenpolitiker - das giltin einem Superwahljahr zumal. Freilich sinddie Themen auch wenig wahlkampftauglich: AngelaMerkel (CDU) diskutiert mit dem britischenHistoriker Timothy Garton Ash über "Menschenwürdeund Demokratie, Frank-Walter Steinmeier (SPD)tauscht sich mit dem Präsidenten des InternationalenKomitees vom Roten Kreuz über "Menschenwürdein einer solidarischen Weltgemeinschaft" aus.

Wohl aber ist diesmal neben Selbstreflexionund Vergewisserung auch ein wenig Selbstbespiegelungerlaubt, schließlich wird auch das protestantischeLaientreffen in diesem Jahr 60. Aus diesemAnlass feiert man sich auch ein wenig selbst.Es war nur ein harmloser Versprecher, alsGeneralsekretärin Ueberschär ganz ohne jedenHintersinn von der "globalen ökumenischenKrise" sprach - und natürlich die ökonomischemeinte.

<$7>Tausende Menschen schieben sich durchdie vollen Straßen in der Bremer Innenstadt.Die Cafés sind bis auf den letzten Platz besetzt.Während Pfadfinder die weltberühmten Figurender Stadtmusikanten bewundern, lässt sicheine Gruppe afrikanischer Frauen vor dem Rathausfotografieren. Zwischen Bahnhof und Veranstaltungsgeländeweisen unzählige Helfer mit auffällig gelbenHalstüchern den Massen den Weg. Zum Startdes 32. Deutschen Evangelischen Kirchentagswurden gestern bis zu 300000 Besucher ander Weser erwartet. "Es ist einfach ein tollesErlebnis, wenn so viele Christen zusammenkommen",sagt Teilnehmerin Michaela Brodbeck aus Mannheim.

Bereits am Morgen sind zahlreiche Kirchentagsgästemit Sonderzügen aus ganz Deutschland und Europaangereist - viele waren stundenlang unterwegs.Doch das nimmt Mareike Vogt aus Baden-Württemberggerne in Kauf, schließlich war sie schon einpaar Mal beim Kirchentag dabei. "Das ist immerein großes Happening für wenig Geld", sagtsie.

Auch für den britischen Pastor Tony Dickinsonist der Kirchentag ein Muss. "So etwas gibtes bei uns in Großbritannien nicht", sagtder 61-Jährige aus dem Ort High Wycombe nordwestlichvon London. Bereits seit 20 Jahren organisierter Reisen zu dem Christen-Treffen in Deutschland."Der Kirchentag macht einfach süchtig", meintsein 71-jähriger Kollege Gregory Hargrove.

"Die Vielfalt der Angebote ist schon toll",schwärmt Cornelia Messer, die mit einer Freundinaus Süddeutschland angereist ist. "Wir habenes noch gar nicht geschafft, uns durch dasProgramm zu arbeiten - das ist ja auch sodick." Rund 2500 Veranstaltungen sind nachAngaben der Veranstalter während der fünfTage geplant, darunter Gottesdienste, Andachten,Diskussionsrunden mit Spitzenpolitikern, Open-Air-Konzerteund Theateraufführungen. "Ich freue mich darauf,mit so vielen Menschen den Glauben zu feiern- das ist schon eine tolle Festivalstimmung",sagt Messer.

5000 freiwillige Helfer sollen dafür sorgen,dass alles reibungslos abläuft. Kurz vor Beginnder Eröffnungsgottesdienste überwacht JanErik Manitz die letzten Aufbauarbeiten ander Bühne auf dem Marktplatz. "Abends istman ganz schön erschöpft. Wir müssen aberimmer nur einen halben Tag arbeiten, habenalso auch viel Zeit für die Veranstaltungen."Wie 40000 andere Gäste übernachtet der 18Jahre alte Pfadfinder aus Schleswig-Holsteinin einem der Gemeinschaftsquartiere in Schulen."Da trifft man immer nette Leute."

Aufregung herrscht bei dem Ehepaar Stunkataus Oldenburg. Sie werden während des Kirchentagszwei Besucher - eine Großmutter und ihre Enkelin- in ihrem Gästezimmer beherbergen. Insgesamtgut 10000 Gäste werden in Privatquartierenin Bremen und Umgebung übernachten. "Wir sindselbst immer gerne zum Kirchentag gefahrenund waren dort zu Gast bei Leuten, was schönwar", erklärt Reinhard Stunkat seine Aufnahmebereitschaft."Das wollen wir jetzt zurückgeben." Der 76-Jährigefreut sich ganz besonders darüber, dass sichdas protestantische Großereignis Kirchentagin diesem Jahr quasi vor seiner Haustür abspielt."So langsam sind meine Frau und ich zu altdafür. Aber so können wir ein bisschen reinschnuppern."