Podiumsdiskussion Podiumsdiskussion in Berlin: Ex-Präsident Barack Obama verzaubert zehntausende Zuhörer am Brandenburger Tor

Berlin - Im Kanzleramt heißt es, man habe Donald Trumps Leuten Bescheid gesagt. Ihnen vorsorglich den Auftritt von Barack Obama in Berlin erklärt. Reiner Zufall diese Terminierung am Tag des Nato-Rats, ein Kirchentag, nicht-verschiebbar, Pfarrerstochter Merkel, keine Kriegserklärung an den US-Präsidenten – irgendwie so vermutlich. Es ist ja schon schwierig genug mit diesem US-Präsidenten, der so schnell beleidigt scheint, wenn nicht alle Aufmerksamkeit und alles Wohlwollen auf seiner Person liegen.
Sicher ist: Trump, zu dessen vordringlichsten Aufgaben es zeitweise zu gehören schien, Zuhörer bei Veranstaltungen zu zählen, würde die Kulisse in Berlin gefallen. Zehntausende stehen da vor dem Brandenburger Tor auf der breiten Straße des 17. Juni, die sich durch den Tiergarten weit in den Westen der Stadt zieht. Um halb sieben Uhr morgens sind die ersten schon gekommen, um gute Plätze zu ergattern.
Die Studenten Clara von Sacken und Leopold Benecke aus Heidelberg zum Beispiel, die Barack Obama „mal live erleben“ wollen. Oder die 37-jährige Büroangestellte Coree Howard aus New York, die sagt, sie wüsste gerne, wie man bewahren könne, was Obama erreicht hat. Sie stehen nun in der ersten Reihe, gleich hinter einer Reihe Metallabsperrungen.
„First of all: Guten Tag“
„Barack Obama kommt gleich“, kündigt eine Moderatorin auf der Bühne immer wieder an. Auf das Stichwort Obama folgt Jubel und Kreischen im Publikum, wie bei einem Popstar. Dann kommt er aus einem Seiteneingang. Strahlendes Lächeln, eine fröhliche Kanzlerin an der Seite, die aufgedrehte Kirchentagschefin Christina Aus der Au und den bayerischen Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm, der Ratsvorsitzenden der Evangelischen Kirche in Deutschland.
Für alle ist die Sache ein Coup. Für die Kirchenvertreter, weil, wie Au sagt, Obama ihre Veranstaltung noch ein bisschen mehr in die Öffentlichkeit rücke. Für Obama, weil er einen Kontrapunkt setzen kann zu diesem Trump, dem er vor vier Monaten höflich und ernst das Amt übergeben hat, und der ihn seither nicht nur wüst beschimpft hat, sondern auch wesentliche Reformen seiner Amtszeit zurückdrehen will.
„First of all: Guten Tag“, sagt Obama und erntet schon dafür wieder Jubel. In den ersten Zuschauerreihen werden selbstbeschriebene Plakate hochgehalten, Zuneigung und Verzweiflung drücken sie aus. „We love you, Mr. President“, steht auf einem. „Obama, can we keep you?“ auf einem anderen. Ein Mann wedelt mit einer US-Flagge.
Obama ist stolz auf seine Zeit als Präsident
Und auch für Merkel ist der Termin ein Hauptgewinn: Mit einem Popstar aufzutreten, das gibt gute Bilder, gar nicht schlecht so ein paar Monate vor der Bundestagswahl. Und es schadet sicher auch nicht, dass Obama auf dem Podium des Kirchentags wiederholt, was er schon öfters mal bemerkt hat: Merkel sei eine seiner Lieblingspolitikerinnen und sie mache einfach hervorragende Arbeit. Mit diesen Worten im Ohr, nach einem Frühstück mit dem so lässig-charmanten Ex-Präsidenten außerdem lässt sich vielleicht das Treffen mit dem etwas weniger geschickten und deutlich angespannteren Trump am Nachmittag in Brüssel leichter ertragen, wobei Merkel da auch sehr stoisch sein kann. Und auch das ist ein Signal: Treffen mit zwei der wichtigsten und mächtigsten Politikern der Welt an einem Tag und SPD-Chef Martin Schulz sucht derweil über die sozialen Medien Ideen für eine Rede über Gerechtigkeit. Da wäre sie schon, die erste Idee: der Zugang zu Öffentlichkeit ist zwischen Kanzlerkandidaten ungerecht verteilt.
Aber der Bundestagswahlkampf ist offiziell natürlich kein Thema beim Kirchentag. „Engagiert Demokratie gestalten“, ist der Titel der Podiumsdiskussion. Der Name Trump fällt nicht ein einziges Mal in anderthalb Stunden. Aber präsent ist er doch. Nur zehn Minuten braucht Obama, um auf die Gesundheitsreform zu sprechen zu kommen, die Trump rückgängig machen will. Das Leben für 20 Millionen Leute habe sich durch die Reform verbessert, sagt er und dass er stolz sei auf seine Zeit als Präsident.
An vielen Stellen kommt es durch, das Leiden des alten am neuen Präsidenten. „Die Fähigkeit zum Kompromiss ist die Stärke, die man braucht“ sagt Obama und: „Es ist hilfreich, ein bisschen zu zweifeln.“ Man dürfe „nicht annehmen, dass Gott nur durch einen selbst spricht“, betont er. „Man muss versuchen, sich bewusst zu machen, dass jeder nur einen Teil der Wahrheit sieht.“
Ex-Präsident Obama: „Wir können uns nicht hinter einer Mauer verstecken“
Angesichts eines amtierenden Präsidenten, der alles, was nicht seiner Meinung entspricht, als Lüge bezeichnet, ist die Botschaft klar. Er betont mehrfach die Bedeutung des Klimaschutzes – Trump hält den Klimawandel für ein Märchen. Den deutlichsten Satz sagt Obama, als es eigentlich um Flüchtlingspolitik geht: „Wir können uns nicht hinter einer Mauer verstecken.“ Der Bau einer Mauer zu Mexiko ist zum Symbol für Trump geworden. Obamas Satz klingt besonders nach an einem Platz, an dem bis vor 25 Jahren eine Mauer stand, an dem ein anderer republikanischer US-Präsident 1987 die Sowjetunion aufgefordert hatte: „Reissen Sie diese Mauer nieder!“ Merkel erzählt, wie sie als Siebenjährige nach dem Mauerbau plötzlich nicht mehr zu Großmutter und Tante reisen konnte. Am Nachmittag wird sie mit Trump ein Denkmal mit eben einem solchen Stück Mauer einweihen.
Vielleicht fällt Obamas Blick während seines Auftritts bis hin zur Siegessäule weit hinten im Tiergarten. Dort hat er vor neun Jahren seine erste Rede gehalten, als Wahlkämpfer damals. Merkel hatte ihm das Brandenburger Tor als Bühnenhintergrund verweigert. „Yes, we can“, rief Obama damals. 20.000 Besucher waren gekommen und jubelten. Sein damaliger Konkurrent John McCain kritisierte die „kriecherischen Deutschen“.
Die Kanzlerin regierte in ihrer ersten Amtsperiode und blickte mit Befremden auf den Personenkult, der Obama den Friedensnobelpreis bescherte, kaum hatte er das Präsidentenamt übernommen. Es dauerte nicht lange, und Präsident und Kanzlerin gaben ihre gegenseitige Skepsis auf. Obama verlieh Merkel die höchste US-Medaille. Und während sich sein Ruf etwas abnutzte, bekam Merkel in Deutschland den Spitznamen „Mutti“ und damit etwas Ikonenhaftes. McCain ist mittlerweile einer der größten Gegner seines Parteikollegen Trump.
„Das Problem ist der Krieg“
Obama durfte 2013 doch noch vor dem Brandenburger Tor sprechen, da war er Präsident und versicherte man sei „unter Freunden“. Wenig später wurde bekannt, dass die USA Merkels Telefon angezapft hatten und die Freundschaft wurde etwas angespannt.
Und auch die Begeisterung für Obama wie für Merkel war zwischenzeitlich etwas verflogen, das Gefangenenlager Guantanamo ist nicht geschlossen, die USA militärisch weiter hoch aktiv. Und in Deutschland gab es Debatten um die Flüchtlingspolitik. Auf der Bühne fragt EKD-Chef Bedford-Strohm die Kanzlerin nach einem Bleiberecht für gut integrierte Flüchtlinge. Merkel verweist auf die Notwendigkeit rechtlich klarer Maßstäbe für alle. Das Publikum buht zum ersten und einzigen Mal vernehmlich. „Ich weiß, dass ich mich damit nicht beliebt mache“, sagt Merkel.
Vier Anfang 20-Jährige dürfen noch auf die Bühne und je eine Frage stellen. Eine Sozialarbeiterin fragt nach den toten Flüchtlingen im Mittelmeer, eine amerikanische Lehrerin nach der Bildungspolitik, eine Sängerin betont die Bedeutung der Kunst. Der Informatikstudent Benedikt Wichtlhuber aus Mannheim wendet sich an Obama und fragt nach den Drohnen-Einsätzen der USA, durch die Dutzende Zivilisten gestorben sind. „Wie gehen Sie als Mensch und Friedensnobelpreisträger mit diesen ungewollten Opfern um?“ Obama antwortet, dass Drohnen gezielter eingesetzt werden könnten als andere Waffen: „Aber nicht die Drohne per se ist das Problem. Das Problem ist der Krieg.“
Wie verbringt Ex-Präsident Obama seine Freizeit?
Bei der Frage, warum angesichts von Hunger und Elend in der Welt noch so viel Geld für Militär ausgegeben werde, kommt ihm Merkel zur Hilfe: Als im Nordirak die Jesiden durch Islamisten bedroht worden seien, sei die USA zur Hilfe gekommen, sagt sie. „Da war ich dankbar, dass es militärische Fähigkeiten gibt“.
EKD-Ratspräsident Bedford-Strohm will dann noch wissen, wie Obama jetzt so seine Zeit verbringe. Er kümmere sich um seine Stiftung, sagt Obama. In den ersten Monaten nach dem Abtritt habe er ein bisschen Schlaf nachgeholt und wieder mehr mit seiner Ehefrau Michelle unternommen, sagt Obama. Für seine beiden Töchter Sasha und Malia sei er mittlerweile „nicht immer die interessanteste Person“. „Aber manchmal tue ich ihnen leid, und dann verbringen sie Zeit mit mir.“
Gibt es einen neuen Job? „Wenn Sie etwas hören, sagen Sie Bescheid“, sagt Obama und grinst.
Merkel sagt, in der Politik dürfe man nicht in Monaten rechnen und dürfe sich von Rückschlägen nicht irritieren lassen. „Wir müssen in Jahren denken.“ Das klingt vermutlich tröstlich für alle, für Trump wie für seine Gegner, und auch für die SPD.