Ost-West-Schicksal Ost-West-Schicksal: Die Rückkehr eines Reporters
Halle/MZ. - Aber immer noch schauten die Genossen ab und zu nach ihm. Und immer wieder hefteten sie neue Berichte und Protokolle in die dicke Akte mit der Aufschrift "Reporter".
Uwe Gerig, der seine Lebensgeschichte jetzt unter dem Titel "Die Stasi nannte mich Reporter" (BOD) aufgeschrieben hat, hatte den DDR-Machthabern offenbar weh getan. Nicht nur, dass der Star-Fotograf der Ostberliner Illustrierten NBI gemeinsam mit seiner Frau Ruth in die Bundesrepublik geflüchtet war, ärgerte die Genossen. Nein, mit Gerig hatte einer das Land verlassen, der in der Mangelwirtschaft nie hatte klagen können - und seit er drüben angekommen war, hörte er nicht auf, mit Büchern und Texten gegen das westdeutsche Desinteresse an der DDR zu trommeln.
Uwe Gerig ist ein Mann, der Gelegenheiten erkennt, wenn er sie sieht - und die junge DDR bietet manchmal sogar unfreiwillig welche. Als der junge Parteijournalist einen verstorbenen teuren SED-Genossen spöttisch "Rumpelstilzchen" nennt, verliert er seinen Stelle und steht mit Berufsverbot auf der Straße. Doch der Todesstoß wird zum Karriereturbo. Statt beim Thüringer SED-Blatt zu verstauben, avanciert Gerig zu etwas, das es in der DDR gar nicht gibt: Er wird freier Journalist und Reporter für die bunte Illustrierte NBI.
Ein Job, der auch im grauen Sozialismus Spaß macht. Gerig kommt herum, Gerig hat Kontakte, Gerig ist für Berlin der aus der Provinz, für die Provinz aber der aus Berlin. Er verdient viel Geld, er leistet sich eine teure Wohnung und schöne Autos, er hat beim staatlichen Reisebüro ein Abo auf die tollsten Auslandsreisen. Bis nach Ägypten, Korea, Vietnam, Kuba und in die Mongolei kommt er gemeinsam mit seiner Frau.
Immer lauter aber wird das Grummeln im Magen darüber, dass er bei seinen Menschengeschichten aus dem Land immer mehr Tünche auftragen muss, um den Sozialismus in den Farben der DDR kräftig erstrahlen zu lassen. Längst hätten er und seine Familie, erinnert sich Uwe Gerig, ein Parallelleben geführt. Alle Informationen beziehen die Gerigs aus Westmedien. Jeden Montag aber reist Uwe Gerig von Erfurt aus per Flugzeug nach Berlin, um die Versammlung der NBI-Parteigruppe abzusitzen.
Doch die Tarnung bröckelt. Erst will die Stasi den vermeintlich so verlässlichen Kommunisten gern als Mitarbeiter, Gerig sagt ab. Dann wird auch noch seine Frau, die als Bibliothekarin arbeitet, vom MfS angesprochen. "Es reicht, wir sollten abhauen", denkt das Paar jetzt. Die beiden, knapp über 40 und müde vom real existierenden Sozialismus, wollen im Westen noch einmal neu anfangen.
Wie seine Karriere in der DDR, so organisiert Uwe Gerig auch seinen Abgang generalstabsmäßig. Nachdem die Entscheidung zur Flucht gefallen ist, beginnen die Gerigs, Bücher, Teile des Fotoarchivs und liebgewordene Kleinigkeiten mit der Post an Freunde im Westen zu schicken. "Nichts Persönliches sollte der Stasi in die Hände fallen", beschreibt Gerig, der beinahe ein Jahr in der Angst lebte, dass irgendein Fehler seinen endgültigen Bruch mit dem System auffliegen lassen könnte
Doch der irrwitzige Plan geht auf. Während einer Reise nach Jugoslawien büchst das Ehepaar Gerig der allgegenwärtigen Reiseleitung aus. Und am 20. Oktober 1983 um 18 Uhr steht Uwe Gerig, der vor dem Mauerbau mehrmals zu Besuch in Hamburg und am Rhein gewesen war, zum ersten Mal wieder auf westdeutschem Boden.
Ein Neuanfang mit Mitte 40 folgt, der den Reporter prompt wieder in die Nähe der Mächtigen führt. Waren es in der DDR Walter Ulbricht und Leonid Breshnew, die er fotografierte, so warten jetzt Helmut Kohl und Oskar Lafontaine.
Mit der DDR aber ist der Mann mit dem Blick für die Absurditäten des ostdeutschen Alltags noch lange nicht durch. So lange die Mauer steht, fühlt sich Uwe Gerig in der Pflicht, dafür zu sorgen, dass die in Erfurt, Halle und Ostberlin zurückgebliebenen Menschen von der bundesdeutschen Politik nicht vergessen werden. "Die Teilung würde, so dachte ich damals, zu unseren Lebzeiten nie aufgehoben werden", erinnert sich Gerig, "deshalb müssten wenigstens die privaten Beziehungen bestehen bleiben".
Für ihn war der Abschied von der DDR nie ein Abschied von der Heimat. Als die Mauer fällt, kehrt Uwe Gerig denn auch zurück in den Harz, die Landschaft seiner Kindheit. In Quedlinburg gründet er einen kleinen Verlag, er kauft ein ruinöses Haus und baut zu einem Schmuckstück aus, eröffnet ein Hotel und rekonstruiert den historischen Schuhhof. Ein dritter Neuanfang, auf den mit dem Buch eine Aufarbeitung der eigenen Vergangenheit folgt: Kurz vor Veröffentlichung des Buches enttarnte Uwe Gerig den IM "Jörg" aus seinen Akten. Seinerzeit ein Kollege in Erfurt, wurde der Spitzel nach der Wende Sportredakteur bei einem Berliner Boulevardblatt. Dessen Chefredaktion hat ihn inzwischen suspendiert.