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MZ-Gespräch mit Katrin Göring-Eckardt MZ-Gespräch mit Katrin Göring-Eckardt: "Eine Mehrheit ohne Wunder"

28.08.2013, 18:17
Katrin Göring-Eckardt im MZ-Gespräch
Katrin Göring-Eckardt im MZ-Gespräch Silvio Kison Lizenz

halle/MZ - Die Spitzenkandidatin der Grünen, Katrin Göring-Eckardt, schließt ein rot-rot-grünes Bündnis nach der Bundestagswahl aus. Mit ihr sprachen Hartmut Augustin, Bärbel Böttcher und Rainer Wozny.

Frau Göring-Eckardt, können wir uns duzen?

Göring-Eckardt: Na ja, hier im kleinen Kreis... Aber eigentlich sollte man dafür ja gute Gründe haben.

Die haben wir...

Göring-Eckardt: Ich weiß schon, Sie spielen auf unsere Werbekampagne an und die Plakate, auf denen wir fragen: Und DU? Ich habe den Eindruck, dass diese persönliche Ansprache gut funktioniert. Und nicht nur bei jungen Leuten. Denn wir sprechen Themenfelder an, von denen wir wissen, dass dort die Mehrheit Veränderungen will.

Sie sind hier in Sachsen-Anhalt im Land der Reformation. Martin Luther hat einmal gesagt: Die Welt ist voll alltäglicher Wunder. Mit Blick auf den Wahlkampf - glauben Sie an Wunder?

Göring-Eckardt: Wir können immer damit rechnen, dass auch Wunder geschehen. Aber im Wahlkampf reicht es mir, wenn wir bis zum Ende durchhalten und dann die Mehrheit völlig ohne Wunder, sondern einfach durch Überzeugung bekommen.

Das Steueraufkommen ist hoch, die Rentenkassen sind voll, die wirtschaftliche Entwicklung sieht gut aus. Die Umfragen für die Kanzlerin und die CDU sind hervorragend. Ohne ein Wunder wird es für Sie schwer. Was motiviert Sie durchzuhalten?

Göring-Eckardt: Ich will eine andere Politik in diesem Land, gerade für mehr Gerechtigkeit. Frau Merkel sagt, es geht uns prima. Ich frage: Wen meint sie damit? Wir haben in Deutschland sieben Millionen Menschen, die für weniger als 8,50 Euro die Stunde arbeiten. In Ostdeutschland ist das fast jeder Vierte. Ich glaube nicht, dass es denen prima geht. Es gibt 1,4 Millionen Aufstocker, also Menschen, die Hartz-IV-Leistungen beziehen, weil ihr Lohn zu gering ist. Zweieinhalb Millionen Menschen haben zwei, drei Jobs. Das hat man früher für amerikanische Verhältnisse gehalten. Wir haben Altersarmut. Das betrifft vor allem Frauen, und zwar vor allem Frauen in Westdeutschland...

Trotzdem...

Göring-Eckardt: Es ist gut, dass wir derzeit ein besseres Steueraufkommen haben als in den letzten Jahren. Aber ich frage mich: Was machen wir eigentlich damit?

Was ist Ihre Antwort?

Göring-Eckardt: Wir müssen uns entscheiden, ob wir wie Schwarz-Gelb weiter Lobbypolitik betreiben, ob wir also dafür sorgen, dass sich die Vermögen immer stärker in wenigen privaten Händen konzentrieren oder ob es eine Umverteilung in Richtung derer gibt, die es eigentlich brauchen, um mehr Chancen für alle zu haben.

Deshalb wollen Sie den Regelsatz für Hartz-IV-Bezieher erhöhen?

Göring-Eckardt: Das ist eine Maßnahme. Wir wollen aber grundsätzlich die öffentliche Infrastruktur so erhalten, dass sie allen zugute kommt - bei der Bildung, der Qualität des Kita-Ausbaus, der Sanierung maroder Straßen und Brücken. Und was ist mit Bibliotheken, mit Theatern, mit Universitäten? Die öffentliche Hand ist inzwischen so arm geworden, dass sie eine Infrastruktur, die zur ganz normalen Lebensqualität gehört, zum Teil nicht mehr vorhalten kann. Wir brauchen eine Stärkung der öffentlichen Hand, damit es nicht vom privaten Geld abhängt, ob man sich bestimmte Dinge leisten kann.

Ihre Argumente lassen viele Wähler aber offenbar kalt, wenn man sich die Wahlumfragen ansieht?

Göring-Eckardt: Die meisten entscheiden sich erst sehr spät. In den Umfragen sagt aber immer auch eine große Mehrheit, sie könne sich durchaus vorstellen, auch eine andere Partei zu wählen.

Momentan sieht es doch so aus, als ob die schwarz-gelbe Koalition weiter regiert oder eine große Koalition zustande kommt.

Göring-Eckardt: Wir glauben, dass es für Rot-Grün reicht. Und dafür kämpfen wir. Wir müssen gemeinsam vier, fünf Prozentpunkte zulegen.

Eine weitere Möglichkeit wäre Rot-Rot-Grün. Eine mögliche Option?

Göring-Eckardt: Würden wir mit den Linken regieren, wären wir in der Außen- und Europapolitik isoliert. Die Linke fährt einen Europa-Kurs, der schon als national-chauvinistisch bezeichnet werden kann. Und ich sehe nicht, dass es da eine Bewegung gibt. Auch die Sozial- und Wirtschaftspolitik ist einfach unrealistisch.

Also, Rot-Rot-Grün wird es mit Katrin Göring-Eckardt nicht geben?

Göring-Eckardt: Es wird mit dieser Linkspartei kein Bündnis geben. Wenn die Linken am 23. September mit einem einstimmigen Beschluss in der Fraktion festlegen würden, wir können außen-, friedenspolitisch, finanz- und europapolitisch einen anderen Kurs mittragen, dann würde ich sagen müssen, gut, ich habe mich geirrt. Aber das sehe ich nicht. Und in der Bundespolitik spielt die Außenpolitik eine ganz entscheidende Rolle.

Sind Sie sauer auf die SPD mit ihren ständigen Querschlägen?

Göring-Eckardt: Dazu habe ich weder Zeit noch Energie. Ich bin grüne Spitzenkandidatin und beschäftige mich mit unserem Wahlkampf. Und das lastet mich ziemlich aus. Natürlich wünscht man sich vom potenziellen Koalitionspartner, dass alle an einem Strang und in eine Richtung ziehen. Aber das sehe ich jetzt auch.

Wie reagiert Ihre eigene Klientel auf Ihr Steuererhöhungsprogramm?

Göring-Eckardt: Erstmal hat sich ja herumgesprochen, dass wir 90 Prozent der Steuerzahler entlasten wollen. Und zehn Prozent unserer Gesellschaft sind in der Lage, mehr zu tragen. Denen, die zu dieser Gruppe gehören sage ich erst einmal: Herzlichen Glückwunsch, Sie haben ein gutes Einkommen. Was mir bei vielen unserer potenziellen Wählerinnen und Wähler begegnet, ist ein Verantwortungsbewusstsein für die Gesellschaft. Sie wollen von uns drei Dinge wissen: Wie haltet ihr es mit den Einsparungen im Haushalt, was ist mit dem Subventionsabbau, wie verwendet ihr das Geld. Darauf haben wir gute Antworten. Wir haben im Wahlprogramm nicht nur aufgeschrieben, was unser Ideal wäre, sondern wir machen Versprechen, die wir wirklich finanzieren können.

Nämlich welche?

Göring-Eckardt: Ich habe es schon gesagt. Es geht zum Beispiel um die Frage, was mit der öffentlichen Infrastruktur ist. Und allein bei der Bildung fehlen etwa 20 Milliarden Euro. Es geht um Investitionen zum Beispiel in die Erneuerbaren Energien. Wenn man das klar darlegen kann, dann sagen die Leute, uns ist nicht der eigene Geldbeutel am wichtigsten, sondern auch, dass die Gesellschaft funktioniert. Die haben ja auch etwas davon, dass Schulen und Straßen in ordentlichem Zustand sind oder dass die Züge fahren.

Die SPD ist ja in der Steuerfrage etwas zurückgerudert. Zwar ist noch von Steuererhöhungen die Rede - aber nicht mehr von einem Spitzensteuersatz von 52 Prozent.

Göring-Eckardt: Wir bleiben bei unserem Konzept, und einem Spitzensteuersatz von 49 Prozent. Wer als Alleinstehender 80 000 Euro im Jahr zu versteuern hat, der wird nach unserem Konzept künftig einen durchschnittlichen Steuersatz von 32 Prozent haben. Bisher waren es 31 Prozent. Ich nehme an, dass Leute mit solch einem Einkommen das verkraften können. Den Spitzensteuersatz bezahlt man ja erst vom ersten Euro an, der über den 80 000 Euro liegt.

Im Wahlkampf ruht Ihr Amt als Präses der Synode der evangelischen Kirche. Gestatten Sie uns dennoch die Frage: Warum würde der liebe Gott die Grünen wählen?

Göring-Eckardt: Lassen wir den bei der Bundestagswahl aus dem Spiel. Der ist für mich persönlich ganz wichtig, aber bei Wahlen hat er nichts zu suchen. Gleichwohl: Ich bin froh, dass sich viele Christinnen und Christen auch politisch engagieren. Das soll so bleiben.