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Kampf gegen Ebola Kampf gegen Ebola: "Hilfe ist nur noch von außen möglich"

09.09.2014, 04:42
Eine Wissenschaftlerin der Universität Marburg arbeitet in einem Hochsicherheitslabor an der Erforschung von Ebola.
Eine Wissenschaftlerin der Universität Marburg arbeitet in einem Hochsicherheitslabor an der Erforschung von Ebola. dpa Lizenz

Berlin - René Gottschalk, der Leiter des Frankfurter Gesundheitsamtes und Sprecher des Ständigen Arbeitskreises der Kompetenz- und Behandlungszentren für hochansteckende und lebensbedrohliche Erkrankungen beim Robert-Koch-Institut, mahnt Hilfe für die afrikanischen Ebola-Gebiete an. Mit ihm sprach Markus Decker.

Herr Gottschalk, die Ebola-Epidemie wütet immer mehr. Hätte das nicht verhindert werden können?

Gottschalk: Den Ausbruch selbst kann man natürlich nicht verhindern. Aber die Maßnahmen, den Ländern jetzt zu helfen, sind zu spät angelaufen.

Warum? War das Schlamperei? Oder hat man die Gefahr unterschätzt?

Gottschalk: Das war mit Sicherheit keine Schlamperei. Aber ich erinnere mich, dass die Organisation Ärzte ohne Grenzen bereits im April darauf hingewiesen hat, dies werde ein Ausbruch von ungeahnter Größe sein. Unter anderem die Weltgesundheitsorganisation hat das nicht ernst genommen.

Als ein Problem wird benannt, dass die Menschen in afrikanischen Staaten meist den Regierenden misstrauen und sich so schwer helfen lassen. Stimmt das?

Gottschalk: Das stimmt absolut. Sie haben auch allen Grund dazu. Bis vor zehn Jahren fand in der Region Westafrika ein Bürgerkrieg von unvorstellbarer Grausamkeit statt, in Liberia, aber auch in Guinea. Man hat den Menschen dort die Arme abgehackt. Die Menschen misstrauen auch deshalb ihren Regierungen. Seit dieser Zeit hat es die westliche Welt nicht geschafft, dort eine Infrastruktur aufzubauen. Es gibt keine Straßen, keine Schulen, kein Gesundheitswesen und keine Bildung. Das ist immer ein prima Nährboden für Seuchen. Die Krankenhäuser, die es gibt, zeichnen sich meist dadurch aus, dass man lebend nicht mehr herauskommt.

Nach erfolgreichen Tests bei Affen gibt es Hoffnung auf einen wirksamen Ebola-Impfstoff. Nach Auffrischungsimpfungen sei bei den Tieren erstmals eine „dauerhafte“ Immunisierung gelungen, hieß es in einem Bericht des „Nature Medicine“. Basis des noch experimentellen Impfstoffs ist ein bei Schimpansen vorkommendes Erkältungsvirus. Das Mittel habe den Primaten bei Versuchen „kurzfristig einen vollkommenen Schutz und langfristig einen teilweisen Schutz“ verliehen, schreiben die Forscher. Bei Auffrischungen nach acht Wochen sei der Schutz dauerhaft geworden. Entwickelt wurde der Impfstoff vom Nationalen Institut für Allergien und Infektionskrankheiten (NIAID) in den USA.

Die USA müssen nach den Worten von Barack Obama im Kampf gegen den Ebola-Ausbruch in Westafrika auch militärische Mittel einsetzen. Notwendig seien Ausstattung und Personal, um „beispielsweise Isolierstationen und Geräte für Helfer einrichten zu können“, die aus aller Welt in das Krisengebiet reisen, sagte der US-Präsident. Wenn die USA und andere Länder nicht rasch mehr Hilfen leisteten, könnte der gefährliche Erreger möglicherweise mutieren und leichter übertragbar werden. Ein Übergreifen auf die Vereinigten Staaten sei auf kürzere Sicht aber unwahrscheinlich, sagte Obama.

Nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation (WHO) sind allein in den drei am schwersten betroffenen Ländern Guinea, Liberia und Sierra Leone bereits mehr als 2 000 Menschen an Ebola gestorben.

Mehr als 22 Millionen Menschen in Afrika leben einer neuen Studie zufolge in Gebieten, wo theoretisch eine Übertragung des Ebola-Virus von Tier auf Mensch möglich ist. Laut einer in der Fachzeitschrift „eLife“ veröffentlichten Studie gibt es in 22 afrikanischen Staaten ein solches Übertragungsrisiko und damit in einem größeren Gebiet, als bislang angenommen. Die Ansteckungsgefahr ist aber sehr gering: Seit Entdeckung des tödlichen Virus 1976 gab es bislang lediglich 30 bestätigte Fälle einer solchen Übertragung. Das Ebola-Virus kann übertragen werden, wenn Menschen infizierte Tiere wie Fledermäuse, Schimpansen oder Gorillas berühren oder deren Fleisch essen. Solche Fälle wurden aus der Republik Kongo, der Demokratische Republik Kongo, Gabun, Guinea, der Elfenbeinküste, Süd-Sudan und Uganda gemeldet.

Ein zentrales Problem ist das Fehlen eines Impfstoffes. Würde der eigentlich auch fehlen, wenn Ebola in Europa oder in den USA wüten würde?

Gottschalk: Die Frage haben Sie gerade selbst beantwortet. Er würde natürlich nicht fehlen. Die Ebola-Ausbrüche, die es bisher gab, waren andererseits immer sehr begrenzt – mit jeweils maximal 400 und insgesamt 3 000 Patienten. Wenn das in Europa oder den USA ebenfalls so begrenzt geblieben wäre, hätte hier auch niemand einen Impfstoff entwickelt. Das hätte sich überhaupt nicht gerechnet. Das ist aber jetzt anders. Jetzt werden ja auch alle Anstrengungen unternommen.

Es wird eifrig an einem Gegenmittel gearbeitet. Ist das erfolgversprechend?

Gottschalk: Ja, ganz sicher.

Wie geht es bis dahin weiter? Und was kann man überhaupt tun?

Gottschalk: Die Patienten leiden an einem multiplen Organversagen. Man kann solche Situationen relativ gut beherrschen, wenn man eine gute Intensivmedizin macht. Damit lassen sich die Todesraten deutlich senken. Das ist aber in Afrika nicht der Fall.

Hinzu kommt, dass medizinisches Personal flüchtet, weil es selbst Angst hat.

Gottschalk: Mit Recht. Unter dem medizinischen Personal gab es mindestens 240 Fälle – und 120 Tote. Die Schutzausrüstung ist unzureichend. Die Arbeitsbedingungen sind kläglich.

Also ist erst mal nichts zu machen?

Gottschalk: In Afrika nicht – außer, wir würden ganze Hospitäler dort hinschaffen oder ein Hospitalschiff vor der Küste vor Anker gehen lassen. Denn jedes mobile Hospital, das Europa hat, ist 1 000 Mal besser als die afrikanischen Hospitäler. Wir müssten natürlich Personal mit runter schicken und Labore. Mit unserer Schutzausrüstung hätte dieses Personal auch nichts zu fürchten. Dann könnte man das hinkriegen. Aber es würde eine unglaubliche Anstrengung erfordern.

Man sollte es dennoch machen?

Gottschalk: Man muss. Denn diesen Ländern ist nur noch von außen zu helfen. Von selbst können sie das nicht. Man müsste auch Nahrungsmittel runterbringen. Denn diese Leute haben nichts mehr zu essen. Das Hauptnahrungsmittel dort ist Maniok. Und das ist zuletzt um 150 Prozent teurer geworden.

Da aber das, was Sie raten, wahrscheinlich nicht eintreten wird, wird sich die Lage dort zunächst ungebremst weiter verschärfen.

Gottschalk: Ja.

Sie sagten jüngst, Deutschland und hier insbesondere der zentrale Frankfurter Flughafen seien gut gerüstet. Bleibt es dabei?

Gottschalk: Ja. Für uns ist das keine Gefahr. Bei uns sind Patienten relativ leicht zu entdecken. Und Kontaktpersonen zu finden, wäre kein großes Problem. Im Gegenteil, sie würden sich an uns wenden. Außerdem gibt es in Deutschland neun Sonderisolierstationen. Wir sind bestens gerüstet. Das ist in Afrika ganz anders.

Mit wie vielen Toten rechnen Sie?

Gottschalk: Die Weltgesundheitsorganisation hat zuletzt 20 000 Fälle prognostiziert. Das würde bei einer Mortalitätsrate von 50 Prozent 10 000 Tote bedeuten. Ich glaube, dass es viel mehr sein werden. (mz)