Gespräche verlängert Gespräche verlängert: Parteien nähern sich in Jamaika-Verhandlungen an

Berlin - Peter Altmaier hat seinen Humor nicht verloren. „Wenn mich jemand fragen würde, ob ich bereit bin, heute auf das Catering zu verzichten, würde ich antworten: Nicht um jeden Preis“, sagte der Chef des Kanzleramtes, der zugleich kommissarischer Finanzminister ist, am Freitagmittag im Eingang des Konrad-Adenauer-Hauses.
Scherz soll Schwere aus der Sache nehmen
Das mit dem Catering ist eine Anspielung des CDU-Politikers auf seinen guten Appetit und seine Leibesfülle. Die Bemerkung „nicht um jeden Preis“ ist eine Anspielung auf die Sondierungsgespräche über eine etwaige Jamaika-Koalition aus CDU, CSU, FDP und Grünen, bei denen die Partner gerne betonen, dass sie eben nicht um jeden Preis in eine solche Koalition einsteigen würden. Der Saarländer nimmt mit seinem Scherz die Schwere aus der Sache.
Von Donnerstagabend bis Freitagmorgen hatten Vertreter aller vier Parteien in der Parlamentarischen Gesellschaft zusammen gesessen. Am Ende ohne Ergebnis, so dass die Gespräche entgegen der ursprünglichen Planung bis mindestens Sonntag verlängert und zunächst in die CDU-Parteizentrale und am Sonntag in die baden-württembergische Landesvertretung verlagert werden.
134 Mal Uneinigkeit auf dem Papier
Zwar rückt die Einigung auf einigen Feldern näher. Am Freitag gab es in dem gemeinsamen Papier aber immer noch 134 dieser mittlerweile berüchtigten eckigen Klammern – sprich: 134 Mal Uneinigkeit. Und vor allem in der Flüchtlingspolitik und hier über den Familiennachzug herrscht anhaltender Streit zwischen den Grünen einerseits und der CSU andererseits.
Dieser Streit, der aus gegensätzlichen Überzeugungen und politischen Kulturen resultiert, drohte die Gespräche in der Nacht von Donnerstag auf Freitag zu sprengen. Da verbreiteten die Grünen, dass in der CSU ein Machtkampf tobe, was die wiederum brüsk zurückwies. Am Freitag beruhigte sich der Streit.
Gespräche entwickeln sich weiter
Bei der CSU ist am Morgen eine wundersame Transformation zu besichtigen. Die ersten Worte, die der Landesgruppenvorsitzende Alexander Dobrindt in die Mikrophone spricht, lauten: „Guten Morgen, Jamaika.“ Der Lautsprecher der CSU schaltet auf Optimismus und Konzilianz. „Es entwickelt sich schon weiter“, verkündet er freundlich. Intern arbeiteten alle konzentriert an ihren Argumenten, und die Diskussion sei ja ohnehin recht anspruchsvoll.
Dobrindt verzichtet auf direkte Angriffe gegen die Grünen, darauf, ihnen mangelnden Realismus vorzuwerfen oder Argumente aus der Mottenkiste. Stattdessen sagt er, man habe so offen miteinander diskutiert, wie es das selten gebe. Das sei vielleicht sogar der „Schlüssel zum Verständnis“.
„100 Prozent durchsetzen geht eben nicht.“
Es scheint, als hätten die Anwürfe der Grünen Wirkung gezeigt – Anwürfe übrigens, die in den Reihen der Schwesterpartei CDU vielfach geteilt werden. Die CSU sei zu unbeweglich, heißt es da. „100 Prozent durchsetzen geht eben nicht.“ Zugleich kursiert die Vermutung, Parteichef Horst Seehofer sei wegen des Streits um seine Nachfolge nicht mehr handlungsfähig.
Die CSU stehe „wie ein monolithischer Block“, versichert hingegen deren Generalsekretär Andreas Scheuer. Wie um das zu illustrieren, haben Dobrindt und Scheuer ihren Parteivorsitzenden beim Verlassen der Gespräche in den frühen Morgenstunden eingerahmt. Es sah nur auch so aus, als müssten sie ihn schützen.
Bei den Grünen dauere alles zehn Mal so lange
Zugleich wird doch noch über die Grünen gelästert. Man brauche etwas länger, weil bei den Grünen einfach immer alles zehn Mal so lange dauere, sagt einer aus der CSU-Spitze. „Die müssen immer noch die Welt erklären.“
Vor den CSU-Bundestagsabgeordneten äußert sich Dobrindt später pessimistischer. Jamaika hänge am „seidenen Faden“, referiert er und verweist darauf, dass ja „schwarzer Freitag“ sei, an dem vielleicht besonders viel herauszuholen sei für die Union. Da aber ist er falsch informiert: Der Jahrestag des historischen Schwarzen Freitags, des Börsencrashs in New York in den 20-er Jahren, fällt auf den 29. Oktober. Faktenschärfe, das ist auch so ein Thema in den Verhandlungen. „Gute Nacht, Jamaika“, sagt bisher jedenfalls niemand.
Kompromisse müssen belastbar sein
Die CDU erhöht den Druck auf ihre Weise. Denn Unions-Fraktionschef Volker Kauder gibt den Zeitplan vor. „Es muss an diesem Wochenende zu einem Ergebnis kommen“, sagt er. Seehofer schließt sich dem an. Die Devise müsse dann lauten: „Hü oder Hott.“
Seitens der Grünen verlautet, es sei jetzt wieder Bewegung da. Damit ist wohl auch die CSU gemeint. Als Verhandlungsführerin Katrin Göring-Eckardt ins Adenauer-Haus geht, sagt sie, vielleicht seien „ja jetzt alle ein bisschen abgekühlt“ und hätten frische Ideen dabei. Der neben ihr stehende Co-Verhandlungsführer Cem Özdemir fügt indes hinzu, am Ende werde „es nur funktionieren, wenn alle bereit sind, sich zu bewegen“. Die Kompromisse müssten überdies so belastbar sein, dass es eine Jamaika-Koalition „bei der nächstbesten Prüfung nicht gleich aus der Kurve haut“.
Unterschiede zwischen den Parteien seien groß
Bundesgeschäftsführer Michael Kellner erklärte dieser Zeitung: „Die Gespräche sind und bleiben schwierig. Die Unterschiede zwischen den Parteien sind groß. Deswegen ist Bewegung von allen nötig.“ Alle Beteiligten hätten jetzt eine Verantwortung, so Kellner weiter. „Deswegen sprechen wir weiter und nehmen uns die dafür notwendige Zeit, um zu sehen, ob es gehen kann."
Doch unabhängig davon, ob sich die mutmaßlichen Partner am Wochenende einigen oder nicht: Der Graben zwischen den Grünen und der CSU erweist sich als so tief wie vor der Wahl vermutet. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass in Grünen-Kreisen zuletzt vom „Seehofer Horst“ die Rede war – ganz so, als handele es sich um einen alten Bekannten. Der „Seehofer Horst“ hat in der CSU schließlich nur noch bedingt das Sagen. Und auf Dobrindt und Scheuer haben die Grünen einen ziemlichen Rochus.
Immerhin: In dem Haus, in dem Peter Altmaier am Freitag auf das Catering hoffte, nahmen die Grünen Claudia Roth und Reinhard Bütikofer schon mal neben einer Figur Konrad Adenauers Aufstellung und ließen sich dabei fotografieren. Die Stimmung war am Freitag also nicht ganz schlecht auf der Insel Jamaika. Das muss aber nichts heißen.