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DDR-Geschichte DDR-Geschichte: Die Tiefgarage für Tag X

Von Steffen Könau 24.02.2012, 17:47

Freudenberg/MZ. - Stille. Schimmel. Ein Geruch nach Bohnerwachs, feuchten Tapeten und unberührter Vergangenheit. Dann ein langer Gang, der in einem ganz normalen DDR-Neubau-Keller anfängt. Dort, wo diese Keller sonst aufhören, klafft ein tiefes, dunkles Loch. Und dahinter wartet ein weiträumiges unterirdisches Reich, naturbelassen wie an dem Tag vor zwei Jahrzehnten, als die letzte Bunkerbesatzung die unterirdische Parallelwelt verließ, in der der Innenminister der DDR den Plänen der damaligen Staatsführung zufolge einen Atomkrieg hätte überleben sollen.

"Blumberg" war der Tarnname der Einheit, die Karl-Heinz Scholz seinerzeit kommandierte. "Schulungsobjekt" oder kurz "SO" nannten sie das tief in den brandenburgischen Sand gegrabene Bauwerk am Rande der kleinen Gemeinde Freudenberg, das von einem Hochspannungszaun geschützt und von Wehrpflichtigen vor allem aus Sachsen-Anhalt und Thüringen bewacht wurde.

Im Gegensatz zu den meisten anderen Schutzbauwerken, die nach den Vorgaben des "Delfin" genannten DDR-Planes zur Vorbereitung auf einen Atomkrieg gebaut wurden, blieb das "Schulungsobjekt" bis heute nahezu unerforscht. Während die Rettungsinsel unter der Erde, in die sich Staats- und Parteichef Erich Honecker im Ernstfall flüchten sollte, zeitweise zum Touristenmagneten wurde und andere Bunkerbauten regelmäßig für Interessierte geöffnet werden, erfuhren im Falle "SO" auch nach dem Mauerfall nicht einmal die Nachbarn im Dorf, welches Geheimnis das Wäldchen nebenan birgt.

Karl-Heinz Scholz weiß es dafür umso besser. Bis zur Schließung der Geheimanlage durch das Bundesinnenministerium war der frühere Oberst der Volkspolizei Kommandant der in drei einzelne Bereiche aufgeteilten "Ausweichführungsstelle", die durch 300 Meter lange Gänge mit der Außenwelt verbunden sind. Vier Meter unter der Erde liegt die etwa 14 Meter breite und 88 Meter lange Anlage, in der rund 200 Angehörige des Innenministeriums im Verteidigungsfall Dienst getan hätten.

Anders als in anderen Bunkerbauwerken, die nach der Wende von Schatzsuchern und Andenkenjägern restlos ausgeräumt wurden, ist hier unten manches noch genau so erhalten wie in der Zeit, als der Bunker im Dienst stand. Codetabellen liegen in der Funkzentrale, Übersichtskarten im Hauptgebäude. Sogenannte RDU-Reaktoren sowjetischer Produktion, die zur Sauerstofferzeugung durch eine chemische Reaktion gedacht waren, stapeln sich in einer Abstellkammer. Sogar ein Haufen alter Telefone des Typs Variant aus dem VEB Fernmeldewerk Nordhausen liegt noch vergessen in einer Ecke. Karl-Heinz Scholz erinnert sich gut daran, wie streng die Geheimhaltung um den größten Volkspolizeibunker war, obwohl der die ursprünglich geplante sogenannte Schutzklasse nie erreichte. Im Gegensatz zu "anderen Ministerien" wie Scholz sagt, ohne das MfS direkt zu nennen, habe das Innenministerium nie die Mittel erhalten, die den eigentlich geplanten Bau eines wirklichen Bunkers erlaubt hätten. So sei es bei den drei "Tiefgaragen" geblieben, die nach oben hin durch Barackenbauten getarnt waren.

Wehrdienstleistende durften den inneren Kreis der Anlage nicht betreten, weshalb Scholz' Bunkereinheit eine außergewöhnliche Zusammensetzung hatte: "Bei mir dienten eigentlich ausschließlich Offiziere." Damit der "Klassenfeind" dem unterirdischen Treiben nicht auf die Spur kam, liefen alle Außenverbindungen über das rund 20 Kilometer entfernt liegende "Dienstobjekt Blumberg". Das war Heimat des Volkspolizeiorchesters. Die Aufgabe der Bunkertruppe mit dem Ehrennamen "Richard Sorge" wäre es allerdings nicht gewesen, Musik zum Untergang der DDR-Titanic zu spielen. Vielmehr habe man bereitgestanden, im Fall einer Krise oder eines Krieges die Nachrichtenverbindungen zu den Behörden der Bezirke per Telefon und Richtfunk zu sichern, sagt Scholz, der nach der Wende noch mehrere Jahre für das Bundesinnenministerium arbeitete. Ein Tonstudio mit einer Direktleitung zum Rundfunk der DDR hätte es erlaubt, Warnungen oder Hinweise an die Bevölkerung durchzugeben.

Ausprobiert worden sei das aber nie, sagt Scholz. Auch die einzige Übung, bei der alle künftigen Bunkerinsassen an einem Testalarm teilnehmen sollten, wurde noch vor der Abfahrt aus Berlin abgebrochen. Hermetisch abgeschirmt durch Stahltüren, die sich nur durch Chipkartenleser öffnen ließen, hätte die Besatzung wenigstens zehn Stunden, vielleicht aber auch drei Tage abgetaucht bleiben können. "Auch ich habe aber nie gesagt bekommen, wie es danach weitergegangen wäre".

Wie es nach dem Mauerfall weiterging, weiß Scholz dafür umso besser. Lange sei unklar gewesen, was mit dem ausgedehnten Gelände des "Schulungsobjektes" werden solle. Schließlich aber entschied das Bundesinnenministerium, dass das Bauwerk Nummer 7001 nicht mehr benötigt wird.

Später tauchten Ansprüche von Alteigentümern auf. Eine Sekte siedelte sich an, die in einer der Baracken ein "Gideon"-Haus gründete, das armen Seelen als sicherer Ort auf einer "spirituellen Reise weg von Gewalt, Drogen und Unmoral" dienen sollte. Ein Vorhaben, von dem heute noch ein Schriftzug an einem Tarnhaus kündet.

Geblieben ist die Freudenberg AG, eine Gründung der Gemeinde, die das im märkischen Sand vergrabene Erbstück des Kalten Krieges inzwischen als Steueroase vermarktet. Doch auch für den kleinen Geldbeutel hat der einst für weit über 50 Millionen DDR-Mark erbaute Ausweichführungspunkt etwas zu bieten: Für Partys kann jedermann das Gelände mieten.