Kommentar zur Bürgerversicherung Bürgerversicherung: Unterschiedliche Arzt-Honorare sind das Problem

Berlin - Es war der linke SPD-Parteiflügel, der lange vor der Bundeswahl erkannt hatte, dass die Forderung nach einer Bürgerversicherung niemanden mehr hinter dem Ofen vorlocken wird.
Für die Wähler sei das Ganze zu abstrakt, es wirke wenig praxistauglich und damit unglaubwürdig, so die Analyse. Tatsächlich diskutieren Sozialdemokraten, Grüne und Linkspartei bereits seit mehr als 15 Jahren ergebnislos darüber, in Deutschland ein einheitliches Krankenversicherungssystem einzuführen.
SPD setzt Bürgerversicherung auf die Agenda
Im Wahlkampf spielte das Thema dann auch keine Rolle. Erst jetzt, nach den gescheiterten Jamaika-Sondierungen, erscheint die Bürgerversicherung wie Kai aus der Kiste auf der Bildfläche – vorangetrieben vom einflussreichen Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach.
Die SPD-Führung reagierte mangels anderer Themen, mit denen man die Union bei Koalitionsverhandlungen triezen kann, geradezu dankbar. Sie tut gut daran, Lauterbachs Rat zu folgen und die Bürgerversicherung ganz oben auf die Agenda zu setzen – allerdings mit neuen Schwerpunkten.
Die Ausgangslage kann nicht oft genug beschrieben werden, weil sie so absurd ist: Ausgerechnet die Staatsdiener mit einem sicheren Job und die Gutverdiener können sich aus der Solidargemeinschaft verabschieden und werden dafür auch noch mit niedrigen Beiträgen belohnt.
Das könnte man als reine Neiddebatte abtun, doch so einfach ist das nicht: Die Alterung der Gesellschaft und der medizinische Fortschritt sorgen für stetig steigende Gesundheitskosten. Bleibt die Zweiteilung bestehen, werden die Probleme kaum mehr beherrschbar.
Staat hat Interesse an Versicherung seiner Bürger
Das gesetzliche System braucht die Gutverdiener, um den Beitragsanstieg dämpfen zu können. Bei den Privaten zeigt die Niedrigzinsphase, wie unsicher es ist, bei der Finanzierung steigender Kosten auf den Kapitalmarkt zu setzen.
Da die dort erzielbaren Erträge immer weiter sinken, müssen die Beiträge drastisch steigen, damit im Alter genügend Geld zur Verfügung steht. Die Politik könnte ganz entspannt zuzusehen, wie dieses System gegen die Wand fährt.
Doch am Ende landen all die Versicherten, die ihre Prämien nicht mehr aufbringen können, im Sozialsystem. Der Staat muss also ein Interesse daran haben, dass alle seine Bürger sicher versichert sind.
Privatpatienten als Versuchskaninchen
Zu rechtfertigen wäre die Existenz der Privatkassen, wenn sie wie behauptet ein Innovationsmotor für alle Versicherten wären. Richtig ist, dass Privatversicherten mitunter neuartige Therapien oder Diagnoseverfahren früher zur Verfügung stehen. Doch dabei spielen sie eher das Versuchskaninchen.
Wenn etwa falsche Befunde zu unnötigen Operationen führen, nutzt das nur den Ärzten. Gesetzlich Versicherte können dagegen davon ausgehen, dass Nutzen und möglicher Schaden einer Behandlung in einem angemessenen Verhältnis stehen. Ansonsten würden die Kassen die Leistung nicht bezahlen.
Die private Krankenversicherung argumentiert zudem, dass sie den gesetzlichen Zweig dank der höheren Arzthonorare mit Milliardensummen subventioniert. Aber was nützt es einem Allgemeinmediziner in Mecklenburg-Vorpommern, wenn sich der Orthopäde am Starnberger See dank vieler Privatpatienten eine goldene Nase verdient? Nichts.
Kampfbegriff „Zwei-Klassen-Medizin“
Ob der Kampfbegriff der „Zwei-Klassen-Medizin“ angesichts kürzerer Wartezeiten der Privatversicherten wirklich angemessen ist, bleibt dahingestellt. Aber es gibt diese Unterschiede. Und sie werden von den Bürgern als ungerecht empfunden und sind tatsächlich durch nichts zu rechtfertigen.
Doch abschaffen lassen sich die Privaten nicht, weil der Staat nicht in Versicherungsverträge eingreifen kann. Alle Varianten, die das Geschäft der privaten Krankenversicherung direkt einschränken oder Zwang anwenden, dürften verfassungsrechtlich schwer umsetzbar sein.
Das ist allerdings auch gar nicht nötig: Allein zwei Maßnahmen reichen aus, um das Ende der Zweiteilung unumkehrbar einzuleiten. Dreh und Angelpunkt sind dabei die Honorare. Macht es für einen Arzt finanziell keinen Unterschied mehr, ob er einen Privat- oder einen Kassenpatienten behandelt, gibt es auch keine „Zwei-Klassen-Medizin“ mehr.
Beamte müssen Zugang zur Gesetzlichen haben
Wenn man bei einer derartigen Reform das Geld fairer zwischen Fach- und Hausärzten sowie Stadt und Land verteilt, bleiben die Kosten überschaubar und es gibt bei den Medizinern mehr Gewinner als Verlierer.
Zweitens muss den Beamten als größte Gruppe der Privatpatienten der Zugang zur gesetzlichen Versicherung erleichtert werden.
Sind die Arzthonorare identisch, fällt die Wahl nicht mehr schwer: Eine Solidargemeinschaft, die bezahlbare Beiträge sichert, oder ein System, das auf Renditen angewiesen ist, die es gar nicht mehr erwirtschaften kann.