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Bundespräsidenten-Wahl Bundespräsident: Sollte Joachim Gauck erneut antreten?

Von Jochen Arntz 08.04.2016, 15:13
Joachim Gauck auf dem Balkon des Rathauses in Lüttich.
Joachim Gauck auf dem Balkon des Rathauses in Lüttich. dpa

Berlin - Am 12. Februar des kommenden Jahres steht die Wahl des Bundespräsidenten an. Die 16. Bundesversammlung wird im Reichstagsgebäude in Berlin entweder den zwölften Bundespräsidenten seit Bestehen der Bundesrepublik wählen - oder Joachim Gauck im Amt bestätigen.

Der 76-Jährige hat sich noch nicht entschieden, ob er für eine zweite Amtszeit kandidieren will. Was für und gegen einen erneuten Antritt Gaucks spricht, lesen Sie auf den folgenden Seiten. Ein Pro und Contra. (nal)

Das spricht für eine zweite Amtszeit

Joachim Gauck hat dem Amt des Bundespräsidenten gut getan, er hat den Posten kernsaniert; nach Horst Köhler und Christian Wulff ist das nicht wenig, wenn man das geschafft hat. Aber es geht ja nicht nur um ein solides Amtsverständnis in Bellevue, es geht darum, wie man dieses Land repräsentiert  - und wie man vielleicht gerade nicht die Realität, sondern vor allem die Idealvorstellung dieser Republik repräsentiert. Denn darüber reden wir  bei diesem Präsidenten, in dieser Zeit.

26 Jahre nach der Vereinigung ist Deutschland nicht in allersouveränster Verfassung. Die Flüchtlingsdebatte hat dazu geführt, dass das Parteiensystem an den Rändern ausfranst, besonders zackig am rechten. Und sie hat zu einem erheblichen Verlust an Vertrauen zwischen der Politik und den Bürgern geführt. Der Ton ist rau, oft schrill geworden.

Gauck strahlt Souveränität in schwierigen Zeiten aus

All das kann man über Joachim Gauck nicht sagen, er ist in diesen ungemütlichen Monaten erstaunlich souverän geblieben, hat dennoch deutliche Worte gefunden. Er hat nicht routiniert „Wir schaffen das“ gesagt, sondern er hat auch gefragt: „Schaffen wir das?“ Und damit meinte er nicht nur, ob wir es schaffen, die Grenzen für Flüchtlinge offen zu halten - sondern auch, ob dieses Land es schafft, der Engherzigkeit von Pegida und den einfachen Antworten der AfD Grenzen zu setzen. Manchmal scheint es so, als sei dieser Präsident die Mitte, die dem Land abhandengekommen ist. 

Und deshalb ist es wichtig, dass er bleibt, dass er sich trotz seines Alters, trotz eines gewissen Freiheitsdrangs eine zweite Amtszeit als Bundespräsident zumutet. Gerade, weil er im Moment dieses Land mit seiner Souveränität nicht einfach repräsentiert, sondern es mit seiner Person überzeugend zu mehr Gelassenheit ermuntern kann. 

Unabhängig vom Bundestagswahlkampf

Gauck böte auch eine Garantie dafür, dass das Präsidentenamt nicht in den Bundestagswahlkampf des kommenden Jahres gerät. Der ist schon spürbar, und wenn das Amt des Bundespräsidenten neu zu vergeben wäre, hätten die Parteien eine weitere strategische Entscheidung auszukämpfen.

Zumal Gauck als Präsident ja eine Ausnahme ist: Er kam von außen, nicht als Politiker, er ist aber in der Lage, sich in der politischen Landschaft so zu bewegen,  dass er im Amt einerseits nicht übergangen wird, andererseits nicht für politische Taktik zu Verfügung steht. Bei einer Nachfolgerin oder einem Nachfolger könnte das anders werden. Hört man doch in Berlin, dass die Parteien in Zukunft wieder auf einen Präsidenten aus der politischen Klasse, aus ihrer Mitte, setzen wollen. Und wenn das der Plan für eine Präsidentenwahl nach Joachim Gauck ist ist, dann hätte auch er ein Argument mehr, sich der Bürde noch einmal zu stellen.

Denn Gauck hat dem Amt ja deshalb gut getan, weil er unabhängig ist. Und dem Land täte es gut, wenn er diese Unabhängigkeit noch einmal fünf Jahre im Amt demonstrierte. Vielleicht würde am Ende ja sogar eine Tradition daraus, dass diese Republik sich an der Spitze des Staates einen Mensch wünscht, der nicht aus den Spitzen der Parteien kommt.

Das spricht gegen eine zweite Amtszeit

Im vorigen Jahr ist Italiens Staatspräsident Giorgio Napolitano zurückgetreten – fünf Jahre vor dem Ende seiner siebenjährigen Amtszeit. Weil die Parteien sich nicht auf einen Nachfolger einigen konnten, hatte er sich zu einer zweiten Kandidatur überreden lassen. Gegen ihn ist Joachim Gauck, pardon, ein junger Hüpfer. Der Italiener zählt 90 Jahre, der Deutsche zählt 76. Dennoch zögert er, sich noch einmal fünf Jahre im Schloss Bellevue zuzumuten. Er ginge dann mit 82 Jahren aus dem Amt. Das älteste Oberhaupt eines deutschen Staates seit Wilhelm Pieck in der DDR.

Es wäre nicht sonderlich geschmackvoll, mit Spekulationen über Gaucks Gesundheit zu beginnen. Aber er hat das Thema selbst aufgebracht. Die alte Bundesrepublik hat keine guten Erfahrungen mit einem Staatsoberhaupt gemacht, das trotz angeschlagener Gesundheit noch einmal kandidiert hat. Am wenigsten hat sich Heinrich Lübke selbst einen Gefallen getan, als er sich 1964 darauf einließ. Mit seinen sprachlichen Aussetzern wurde er zur Witzfigur.

Ja, Joachim Gauck macht seine Sache gut. Die meisten Deutschen mögen ihn. Aber mögen ihn die deutschen Parteien, weil er seine Sache so gut macht oder weil er die einfachste Lösung wäre? Wie Napolitano. Wie Lübke.

Die etablierte Politik des Landes ist in Bedrängnis. Die Herausforderung durch die Flüchtlingskrise rüttelt sie durch. Die AfD, ihr politischer Nutznießer, macht sie ratlos. Die Parteien rätseln, wie die Bürger noch zu erreichen seien.

Da bietet es sich an, die Überzeugungsarbeit an den Herrn Pfarrer im Schloss Bellevue zu outzusourcen. Der predigt so schön und segnet die Zweifel an Angela Merkels „Wir schaffen das“ als demokratisch erlaubt ab. Stimmt. Doch was nützt es?

Joachim Gaucks Reichweite ist auch nicht größer als die der operativ tätigen Politiker und der besorgten Leitartikler. Wahlergebnisse und Umfragen legen jedenfalls nicht den Schluss nahe, seine Einlassungen zur Flüchtlingsfrage hätten allzu viele Menschen davon abgehalten, die AfD zu wählen. Gauck mag das schlechte Gewissen der politisch-publizistischen Eliten beruhigen. Die verlorenen Kinder von CDUCSUSPDFDP und Co. fängt auch der angebliche Wundermann nicht wieder ein.

Bundestagswahlkampf darf keine Rolle spielen

Ja, die Suche nach einem Nachfolger fände im Vorfeld des Bundestagswahlkampfes statt. Na und? Was ist das für ein verdruckstes Verständnis von Demokratie, sie heraushalten zu wollen? Vielleicht spornt ihre nicht eben komfortable Lage die Parteien ja an, sich zusammenzunehmen und auf eine Alternative zu einigen. Kandidaten gibt es. Außenminister Frank-Walter Steinmeier sowieso. Oder warum nicht Gerda Hasselfeldt? Als CSU-Landesgruppenchefin hat die ehemalige Bundestagsvizepräsidentin Übung im Umgang mit konservativen Heißspornen.

Joachim Gauck muss selbst wissen, ob er sich noch eine volle Amtszeit zutraut. Wählen lassen und nach zwei Jahren den Napolitano machen – das wäre jene Art von Trickserei, die der Politikverdrossenheit Nahrung gibt. Vielleicht sollten sich alle eines berühmten Italieners erinnern. Dem hat vor Jahren angeblich ein Engel im Traum gesagt: „Giovanni, nimmt dich nicht so wichtig!“