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Attentat in Norwegen Attentat in Norwegen: Breivik fand auch auch Beifall bei deutschen Extremisten

Von Steven Geyer 20.07.2012, 19:11

Berlin/MZ. - Als vor einem Jahr die Motive bekannt wurden, die der Norweger Anders Breivik dafür anführte, 77 Menschen ermordet zu haben, war nicht jeder überrascht. Breiviks Bekenner-Pamphlet voller Hasstiraden auf Islam und "Kulturmarxismus"; voll Symbolik christlicher Tempelritter; die Aufrufe, sich gegen die "Islamisierung Europas" zu wehren - auf die meisten Deutschen wirkte das fremd bis wahnsinnig. Aber nicht auf alle.

Breivik sei "jemand, der Eier in der Hose hat und nicht nur geredet hat", befand etwa ein Macher des Online-Organs der Rechtspopulisten, Politically Incorrect (PI), im internen Chat. Stunden nach der Tat auf der Insel Utøya erkannten erste Fans Breivik als einen "der sich gegen die Übermacht der Linken und Muslims gewehrt hat".

Diese Deutung ist seither weit verbreitet auf Websites, in Foren und Facebook-Gruppen, die es bis zur Löschung auf 5 500 Fans brachten. Die damalige Co-Chefin der PI-Website, die Schweizer Pfarrerin Christine Dietrich, bestätigte offen: "Was Breivik schreibt, sind großenteils Dinge, die auch in diesem Forum stehen könnten."

Sie fürchtete, auch die deutschen Agitatoren der tatsächlich fast identischen Ideologie müssten Strafverfolgung fürchten. Ihr Vorwand, Grundgesetz und westliche Werte zu verteidigen, half nicht mehr, da auch Breivik das vorgibt. Die Sorge war berechtigt: Nicht nur Politiker, auch Behörden und Gerichte erkennen die Gefahr. So widmet der neue Bundesverfassungsschutzbericht der Islamfeindlichkeit erstmals ein Kapitel neben Antisemitismus und Geschichtsrevisionismus. Rechtsextremisten setzten Islam und Terrorismus "aus ideologisch-taktischen Gründen" gleich, heißt es, um Fremdenfeindlichkeit als Sorge um die Sicherheit zu verbrämen. Muslime würden als nicht integrierbar dargestellt, man spreche ihnen Grundrechte wie Religionsfreiheit ab.

Prototypisch ist der "Aufruf zum Widerstand gegen das politische Establishment" des Bloggers KarlMichael Merkle, der die Bürger zum "Widerstand gegen die Islamisierung" und "alle politischen Parteien" aufrief: "Greift zu den Waffen!", schrieb er - vier Monate, bevor sich auch Breivik auf "Notwehr" berief. Inzwischen, so teilte das Amtsgericht Heilbronn auf Anfrage mit, wurde Merkle wegen Volksverhetzung zu 2 500 Euro Geldstrafe verurteilt. Da er Einspruch einlegte, ist der Strafbefehl nicht rechtskräftig und eine Verhandlung nötig.

Auch seinem erklärten Gesinnungsgenossen, dem Ex-CSU-Lokalpolitiker und heutigen Bayern-Chef der Splitterpartei "Freiheit", Michael Stürzenberger, droht wegen seiner islamophoben Pamphlets eine Verurteilung. So hatte er die Ausweisung aller Muslime gefordert und trommelt für "gemeinsamen Widerstand" mit Truppen wie der German Defence League (GDL), die im August auch in Berlin gegen Islam und Linke aufmarschieren will.

Der Gründer des englischen Vorbilds EDL zählt zum Milieu, in dem Norwegens Behörden - vergeblich - nach Mittätern Breiviks suchten. Breivik sieht sich als Mitglied der norwegischen Version - die Staatsanwaltschaft zweifelt daran. Ihre Existenz dagegen bewies sich beim "ersten europäischen Counterjihad-Treffen" in Dänemark, für das auch Stürzenberger warb. Laut Staatsanwaltschaft München steht ihm ein Urteil wegen "Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen" bevor. Eine Zivilklage wegen Verleumdung auf PI hat er gerade verloren, löscht er die fraglichen Texte nicht, drohen ihm bis zu sechs Monate Haft.

Dem wollte Pfarrerin Dietrich entgehen, indem sie als PI-Co-Chefin hinwarf, ihre Beiträge löschte und sich als Opfer einer Hetzjagd inszenierte. Ihr Synodalrat konnte dennoch beweisen, dass sie "beim islamfeindlichen Blog Politically Incorrect eine mitbestimmend-verantwortliche Funktion" hatte, die "unvereinbar mit der Stellung als bernische Pfarrerin" sei. Nach einer Rüge durfte sie aber bleiben. Berns Staatsanwälte ermitteln dennoch wegen "Nichtverhinderung strafbarer Veröffentlichungen".

Ein weiterer deutscher Hort ist die "Bürgerbewegung Pax Europa". Die zieht am Wochenende zu antimuslimischen, antieuropäischen Kundgebungen in die Fußgängerzonen. Die Sprecherin des Baden-Württemberger Landesverbandes, Ilona Schliebs, ist als "Kybeline" Star-Bloggerin der Szene. Über Breivik sinnierte sie jüngst, mancher "Terrorist wurde inzwischen zum Held hochgelobt... Vielleicht ist Breivik auch nur der Nelson Mandela oder der Che Guevara des nächsten Jahrzehnts?"

Ebenso notorisch ist die Berliner Politically-Incorrect-Ortsgruppe. In einem Forum, in dem sie ihr Sommerfest plante, hoffte mancher, bald "Mullah schlachtend durch die Straßen zu ziehen" - Jahre vor Breivik. 2011 stellte die Gruppe dann einen Pranger online: Auf Nürnberg 2.0 werden für einen zweiten Kriegsverbrecher-Prozess Namen, Adressen und Fotos derer gesammelt, die die "Islamisierung" herbeiführen.

So begründete auch der Attentäter Breivik, wieso er ein sozialdemokratisches Feriencamp angriff. Nürnberg 2.0 hat bereits 90 Einträge, geschrieben von vielen anonymen Mitarbeitern.