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Atom Atom: Lilo Wollny managt den Protest gegen Castor

Von Karin Ridegh-Hamburg 02.11.2004, 09:12
«Kontrollbereich Vorsicht Strahlung» steht auf einem Schild am 26.09.2003 im Atommüll-Zwischenlager in Gorleben. Im Hintergrund stehen die zwischengelagerten Castor-Behälter mit radioaktivem Abfall (Archivfoto: dpa). (Foto: MZ)
«Kontrollbereich Vorsicht Strahlung» steht auf einem Schild am 26.09.2003 im Atommüll-Zwischenlager in Gorleben. Im Hintergrund stehen die zwischengelagerten Castor-Behälter mit radioaktivem Abfall (Archivfoto: dpa). (Foto: MZ) dpa

Gorleben/dpa. - Nach fast drei Jahrzehnten Widerstands gegenAtomenergie hat Lilo Wollny nur eines aufgegeben: auf der Straße zusitzen, wenn der Castor nach Gorleben rollt. «Das Aufstehen ist zubeschwerlich», sagt die 78-jährige frühere Bundestagsabgeordnete derGrünen. Beim nächsten Atommüll-Transport ins Zwischenlager, der amWochenende voraussichtlich von Frankreich quer durch Deutschlandrollt, will Wollny trotz ihres hohen Alters aber wieder aktivmithelfen, den Widerstand zu organisieren.

Mit Trommeln, Theater, Fackeln und allerlei Feuerzauber wollen dieAtomkraftgegner im Wendland am Freitagabend (5.11.) vor demEintreffen des Atomzuges gegen den Castor protestieren. Das Motto«Gorleben brennt uns unter den Nägeln» ist zu Lilo WollnysLebensmotto geworden. «Solange immer noch junge Leute zu uns dazustoßen, kann man die Hoffnung nicht aufgeben», sagt die vierfacheUrurgroßmutter. An die Jungen wird die alte Dame auch dieses Malwieder am Info- und Versorgungsstand Schlafplätze vermitteln, Essen,Getränke und trockene Kleidung verteilen.

   Die Vorbereitungen für den Transport der zwölf Castoren laufen aufHochtouren. Während Bundesgrenzschutzbeamte die Bahnstreckekontrollieren, bereiten sich 50 Pastoren und Diakone mit einem«Mediations-Training» auf die erwarteten Konfrontationen vonAtomkraftgegnern und Ordnungshütern vor. Die Polizei wird in diesemJahr weniger Kräfte einsetzen als früher. «Das entspricht unsererderzeitigen Lagebeurteilung», sagt Einsatzleiter FriedrichNiehörster. Zahlen nennt er nicht.

Lilo Wollny gehört zu den Widerstandskämpfern der ersten Stunde inGorleben. Die 1977 öffentlich gewordenen Pläne, im Wendland einnukleares Entsorgungszentrum zu bauen, veränderten ihr Leben. DieVorstellung, dass in der friedlichen Elblandschaft eine riesigeWiederaufbereitungsanlage errichten werden sollte, sei für sie damalsunglaublich gewesen, erinnert sich Wollny. «Hier war mein Paradies.»Als Kind erholte sie sich im Wendland bei den Großeltern von derIndustrieluft in Hamburg-Wilhelmsburg. «Wir konnten Kirschen essen soviel wir wollten, frische Milch trinken und in der Elbe baden. Dasdurfte nicht zerstört werden.» Mit neunzehn blieb Lilo Wollny dannendgültig im Wendland.

Im Atomstreit zeigte sie sich von Anfang an kompromisslos: «Werneutral ist, ist mitverantwortlich.» Wollny engagierte sich zunächstals Kommunalpolitikerin, mit 60 Jahren zog sie dann in den Bundestagein. Als sich 2000 der Konsens zwischen Rot-Grün und derAtomindustrie abzeichnete, verließ sie ihre Partei. Bis heute ist siefür die neu gegründete Grüne Liste Wendland im Gemeinderat aktiv.

«Wir sind mittlerweile in der dritten Generation und haben esimmerhin geschafft, das nukleare Entsorgungszentrum zu verhindern»,sagt Wollny. Die Castortransporte seien die einzige Chance, noch zumahnen, so schnell wie möglich die Produktion von Atommüll zustoppen. Doch die Proteste hätten sich verändert, weil es inzwischenkaum noch möglich sei, Überraschungsaktionen zu starten, sagt die 78-Jährige. Und auch die Polizei habe dazugelernt.

Das Leben im Wendland hat sich mit dem Widerstand gegen denAtommüll aus Sicht von Lilo Wollny enorm verändert. «Früher waren wir4 Leute aus unserem Dorf, heute gehen 40 protestieren.» Der Kampfgegen die Atomanlagen habe alle gesellschaftlichen Schichtenverbunden. Auch Gegner und Befürworter haben sich mittlerweilearrangiert. «Harte Konfrontation gibt es nicht mehr.»