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Afghanistan Afghanistan: «Es handelt sich eindeutig um einen Krieg»

22.07.2009, 15:06
Michael Hesse mit dem Politikwissenschaftler Dietmar Herz. Er hält den Lehrstuhl für Vergleichende Regierungslehre an der Universität Erfurt inne. (FOTO: PRIVAT)
Michael Hesse mit dem Politikwissenschaftler Dietmar Herz. Er hält den Lehrstuhl für Vergleichende Regierungslehre an der Universität Erfurt inne. (FOTO: PRIVAT) ddp

Halle/MZ. - MZ:Herr Herz, Siesind erst vor kurzem in Afghanistan gewesen.Befindet sich die Bundeswehr in Afghanistannun in einem Krieg oder nicht?

DIETMAR HERZ: Es handelt sich eindeutig umeinen Krieg. In ganz Afghanistan wird einKrieg geführt, der allerdings in den verschiedenenRegionen des Landes eine unterschiedlicheIntensität aufweist. Im äußersten Nordostendes Landes - wo die Bundeswehr auch stationiertist - ist die Situation ruhiger und entspannterals in Kundus, wo sich die Lage derzeit verschärftoder im Süden in Kandahar oder Helmand, woheftige Kämpfe stattfinden. Die Taliban habenin den letzten Tagen in vielen Teilen desLandes eine Offensive gestartet. In Gardez,im Südosten Afghanistans, wo ich mich zuletztaufhielt, hat es nach mehreren SelbstmordattentatenTote und Verletzte gegeben. Dort eskalierendie Kämpfe. Auch im Einsatzgebiet der Bundeswehrverschlechtert sich die Situation. Die Bundeswehrreagiert darauf und setzte jetzt erstmaligSchützenpanzer und Mörser ein. Zusammenfassend:Ich halte nichts von einer Definition, nachder Kriege nur zwischen Staaten stattfindenkönnen. Kriege sind heute in erster Linieasymmetrische Kriege, Bürgerkriege, interne- ethnisch, sozial oder religiös motivierteAuseinandersetzungen. Kriege zwischen Staatensind eher die Ausnahme.

Welche Bedeutung hat es für die Soldaten,wenn die Regierung immer wieder verneint,dass es sich bei ihrem Einsatz um einen Kriegseinsatzhandelt?

HERZ: Es hat für viele Soldaten etwas Irritierendes.Die Gefahr, in die sie sich zweifellos begebenund die Leistungen, die sie erbringen, werdendurch diese Beschwichtigungsrhetorik nichtangemessen gewürdigt. Die Bundesregierungverfolgt seit längerem eins ambivalente Politik:So hat der Verteidigungsminister lange Zeitnicht von Gefallenen gesprochen - dies istjetzt anders, man spricht von Gefallenen,behauptet aber zugleich, es sei kein Krieg- und verleiht zugleich Tapferkeitsauszeichnungen.Es wäre besser, hier zu einer klaren Sprachregelungzu kommen, wie es ja auch in anderen Ländernder Fall ist.

Wenn man von Krieg spräche, könnte man auchin den umkämpften Süden gehen - oder?

HERZ: Das hängt nicht von der Sprachregelungab, sondern von den vorhandenen Kapazitätenund Möglichkeiten der beteiligten Staaten.Jeder Nato-Staat, der an den Kämpfen in Afghanistanbeteiligt ist, sollte seinen Einsatz nachseinen Kapazitäten und Möglichkeiten ausrichten.Ob es zweckmäßig ist, deutsche Einheiten inden Süden zu verlegen, müsste man sehr sorgfältigprüfen. Der amerikanische VerteidigungsministerRobert Gates hat ja erst kürzlich betont,dass die Nato-Staaten zwar mehr leisten müssten.Aber er hat aber auch unterstrichen, dassdie beteiligten Staaten an ihren vorhandenenMöglichkeiten orientieren müssen. Die Amerikanerwerden von den Deutschen keine größere Kampfhilfeim Süden einfordern. Aber wohl mehr Soldaten,mehr finanzielle Hilfe, mehr Entwicklungshilfeund mehr Unterstützung beim Aufbau von Armeeund Polizei. Konkrete Anforderung werden aberwohl erst nach den Bundestagswahlen gestellt..

Sind die Taliban gefährlicher geworden?

HERZ: Sie haben einiges dazugelernt, wasihre militärischen Taktiken betrifft. Nichtumsonst hat Stanley McChrystal, der neue US-Oberbefehlshaberin Afghanistan, vor kurzem gesagt, man werdeeine Verbesserung der militärischen Situationvielleicht bis zum nächsten Sommer erreichen.Also nicht sehr schnell. Aber dann ist dasLand noch lange nicht stabilisiert. Die amerikanischeFührung nimmt die Taliban als militärischenGegner ernst.

Der Krieg dauert nun schon acht Jahre. Wirdes irgendwann einen Sieg geben können?

HERZ: Dieser Krieg wird noch sehr, sehr langedauern. Er ist nicht in ein paar Jahren zubeenden. Denn es geht ja nicht nur darum,die Taliban militärisch zu besiegen. Sie müssendauerhaft besiegt werden. Und dazu ist eserforderlich, dass die Bevölkerung Vertrauenin die internationale Gemeinschaft zurückgewinnt.Der Einsatz muss an Legitimität zurückgewinnen.Zudem muss die organisierte Kriminalität effizienterbekämpft werden. Und man muss Regierungs-und Verwaltungsformen entwickeln, die Stammestraditionenund Clanstrukturen berücksichtigen.

Ist es da richtig, wenn der Westen weiteran dem afghanischen Präsidenten Karsai festhält?

HERZ: Der Westen hält nicht uneingeschränktan Hamid Karsai fest. Die neue amerikanischeAdministration hat ja zu Anfang des Jahreszu verstehen gegeben, dass sie sich einenanderen afghanischen Präsidenten vorstellenkann. Karsai wurde nicht zur Inaugurationvon Barack Obama eingeladen, dafür aber einigeseiner Rivalen. Karsei hat allerdings dieim August anstehenden Wahlen geschickt vorbereitet,etwa durch die Einbeziehung von Warlords indie Regierung und durch mehr oder wenigerversteckte Manipulationen in den Wahlbezirken,so dass es wahrscheinlich ist, dass er alsSieger aus den Wahlen hervorgehen wird. DerWesten kann aber, so glaube ich, mit der Karsei-Regierungleben.

Welche Bedeutung haben dann noch die Wahlen?

HERZ: Die Wahlen sind nicht so wichtig inHinsicht auf die Frage, wer gewinnt, sonderndass sie überhaupt durchgeführt werden. DieZentralregierung gewinnt an Legitimität, wennsie die Wahlen - in welcher Form auch immer- durchführen kann. Die erfolgreiche Durchführungder Wahlen stärkt die Zentralregierung undträgt so zur Stabilität bei. Im westlichenSinne werden das aber keine fairen und freienWahlen sein.

Gibt es eine Exit-Strategie für die Bundeswehr?

HERZ: Ich kann keine Exit-Strategie erkennen.Es gibt aber eine Voraussetzung für jedwedeExit-Strategie: Die Afghanen müssen in dieLage versetzt werden, für ihre eigene Sicherheitzu sorgen. Dies kann nur durch den konsequentenAufbau der Polizei und des Militärs geschehen.Die Amerikaner haben bereits 4000 neue Ausbilderins Land geschickt, um hierbei mitzuhelfen.Deutschland sollte sich hier mehr engagieren,als dies bereits bisher der Fall ist.

Was passiert, wenn die westliche Allianz sichmilitärisch komplett aus Afghanistan zurückziehenwürde?

HERZ: Dann würde das Land im Chaos versinkenund der Bürgerkrieg - oder besser: die Bürgerkriege- eskalieren. Nicht nur würden viele Warlordsnach Anteilen an der Macht streben und versuchenihre Gebiete möglichst unabhängig zu beherschen,auch die organisierte Kriminalität würde nocheinmal zunehmen. Auch die Taliban könntendann im Gebiet der Paschtunen - einschließlichder Hauptstadt - wohl wieder die Regierungübernehmen. Der Konflikt würde noch mehr alsbisher auf die ganze Region ausstrahlen, vorallem auf Pakistan. Abzug hätte auch Auswirkungenauf die zentralasiatischen Staaten und auchden Iran. Es handelt sich also um einen größerenKonflikt als "nur" um Afghanistan. Zudem würdeAfghanistan wieder zu einem idealen Rückzugsgebietfür Terroristen.

Das Gespräch führte Michael Hesse