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Lokführer-Streik Lokführer-Streik: Reisende mit ihrer Geduld am Ende

Von MICHAEL FALGOWSKI 10.03.2011, 06:40
Anzeigetafel im Hauptbahnhof in Halle. (FOTO: ANDREAS STEDTLER)
Anzeigetafel im Hauptbahnhof in Halle. (FOTO: ANDREAS STEDTLER) cardo

Wolfen/MZ. - Der Bahnhof von Wolfenist um 6 Uhr morgens ein unwirtlicher Ort.Am Bahnsteig wird gebaut. Im verdreckten,leeren Gebäude ist der zugesprayte Fahrplannicht mehr lesbar. Was am Donnerstag aber niemandenstört - die Lokführer streiken ohnehin. Seitzwei Stunden auch im Personenverkehr.

Auf dem Bahnsteig in Wolfen steht nur HarryGraul. Er friert, seit über einer Stunde warteter auf seinen Zug nach Halle. "Die anderenzehn Pendler sind schon wieder abgehauen",sagt er. Wie jeden Morgen ist der 42-Jährigeauch Donnerstag auf dem Fahrrad aus dem nahen Wächterdorfgekommen. Um 5.05Uhr sollte Abfahrt nachHalle sein. Graul lässt sich dort zum Bürokaufmannumschulen. Das wird am Donnerstag knapp: "Hier rührtsich nichts. Nur drei Güterzüge sind durchgefahren.Ich dachte, die werden auch bestreikt?" Undplötzlich passiert doch etwas: auf der elektronischenAnzeigetafel erscheint die erste Information."Die Züge um 6.10 Uhr und 6.27 Uhr nach Halleentfallen", liest Graul laut.

Fahrt im Bus

Er radelt frustriert nach Hause, um sichwenigstens kurz aufzuwärmen. Dann fährt erzum Bahnhof Bitterfeld weiter. "Von dort kommeich besser nach Halle", hofft er. Und Graulbehält etwas später Recht. Um 8.20 Uhr sitzener und viele andere Bitterfelder Pendler imWarmen - und fahren dabei nach Halle. Zwarnicht in der Regionalbahn, aber in einem derNotbusse, die als Schienenersatzverkehr zwischenBitterfeld und Halle pendeln lässt. Auf Wunschgibt es einen Zwischenstopp. Graul darf sogarsein Fahrrad mitnehmen.

Im Bus fährt auch Margitta Bellstedt aus Wolfen.Die Rentnerin will nach Stuttgart. Sie lachtselbst darüber. "Kein guter Tag dafür, ichweiß. Aber ich habe schon vor drei Wochendie Fahrkarte gekauft." Den Streik finde sie"unmöglich. Sollen die Lokführer doch nurden Güterverkehr bestreiken. Das würde etwasbringen, aber die kleinen Leute nicht so belasten."Bellstedt ist zuversichtlich, an diesem Tagnoch in Stuttgart anzukommen.

Ihr Optimismus wird etwas gedämpft, als derBus auf der B 100 vor Halle in den Stau fährt."Heute sind mehr Leute als sonst mit dem Autounterwegs. Logisch", kommentiert das FahrerRalf Lazik. Seit 3.40 Uhr steuert er den Busim Streik-Ersatzverkehr.

Erst um 9.18 Uhr hält sein "Notbus" schließlicham Hauptbahnhof. Margitta Bellstedt eilt zumService-Schalter. Bevor sie dort ankommt,hört sie schon die Durchsage: "Der Zug nachMünchen hat 110 Minuten Verspätung." Das ärgertauch einen weiteren Fahrgast mit dem ReisezielStuttgart. "Ich verstehe die Forderung derLokführer nach einem einheitlichen Tarif beiallen Bahnunternehmen nicht. Es gibt dochauch keine gleichen Löhne für Dreher", sagtder Rentner. "Die Lokführer missbrauchen ihreMacht. Kraftwerk-Personal kann auch nichtplötzlich die Arbeit liegen lassen." Das sehenviele ähnlich. Uwe Vollrats Zug nach Naumburgetwa hat 80 Minuten Verspätung. "Wieso bestreikensie die Deutschen Bahn? Die zahlt ihren Lokführerndoch genug."

Auch Maria K. ist frustriert. Die Jurastudentinaus Brehna, die ihren vollen Namen nicht sagenwill, hat gerade einen Praktikumstermin verpasst.Obwohl sie sich ein "Halle"-Schild gemaltund per Anhalter gefahren ist. "Die GDL führtihren Kampf auf unsere Kosten", sagt sie.Und der 23-Jährige Benito Krause ergänzt:"Ich kann verstehen, dass alle den gleichenLohn bekommen sollen. Aber es muss eine bessereLösung als so einen Streik geben". Er sitztschon seit mehr als einer Stunde untätig inder Bahnhofshalle.

Besser um Verständnis werben

Natürlich kalkulieren Lokführer diesenÄrger ein. "Die Unannehmlichkeiten sind unsnicht egal. Aber wenn wir unsere Forderungendurchsetzten wollen, dann geht es leider nichtohne Beeinträchtigungen", sagt Ralph Leitloff.Geschäftsführer der GDL Mitteldeutschland.Falls sich der Arbeitskampf weiter ausweite,werde man aber offensiver um Verständnis werbenals bisher. "Der Streik läuft gut", bilanziertder Gewerkschaftler. 95 Prozent der 600 GDL-Mitgliederim Bezirk Mitteldeutschland würden mitmachen."Im Güterverkehr fahren 230 bis 250 Züge nicht."

Am Bahnhof in Halle hat sich unterdessen HarryGraul wieder auf sein Fahrrad gesetzt. "Nachviereinhalb Stunden bin ich angekommen! DerZug fährt nur 35 Minuten. Ich bin wirklichsauer auf die Lokführer."

Vor dem halleschen Bahnhof warteten Bahnkunden auf Busse im «Schienenersatzverkehr». (FOTO: ANDREAS STEDTLER)
Vor dem halleschen Bahnhof warteten Bahnkunden auf Busse im «Schienenersatzverkehr». (FOTO: ANDREAS STEDTLER)
CARDO