Halle Halle: Angriff auf Tetra Pak
Halle (Saale)/MZ. - Von der Autobahn 14, Ausfahrt Halle-Ost, ist das große Werk schon von weitem sichtbar. In grünen Lettern leuchtet der Name Greatview an der Außenfront. Den Hersteller von Getränke-Kartonverpackungen, der seinen Firmensitz in Peking hat, kennen in Deutschland nur Verpackungsspezialisten. Der große Konkurrent, Weltmarktführer Tetra Pak, ist dagegen umso bekannter. Die Chinesen wollen dem Branchenführer nun in seinem Kernmarkt Kunden abjagen. Für die europäische Expansion setzt Greatview nicht auf eine Firmen-Übernahme, wie es die meisten chinesischen Firmen tun, sondern baut selbst.
Vor den Toren Halles wurde für rund 50 Millionen Euro das Produktions-Werk errichtet. Mitarbeiter stehen an Computerdisplays und spielen verschiedene Einstellungen für den neuen Maschinenpark durch. "Wir sind dabei, die Fertigung hochzufahren", sagt Werkleiter Stefan Mayer der MZ. In der Produktion werden Karton, Kunststoff- und Aluminium-Folien so zusammengebracht, so dass am Ende ein flacher Getränkekarton entsteht. "Der Standort hat zunächst eine Kapazität von vier Milliarden Verpackungen pro Jahr", sagt Mayer. Von Halle aus sollen Kunden in ganz Europa beliefert werden. Konkrete Abnehmer nennt er nicht. Ein Branchenkenner, der nicht namentlich genannt werden möchte, nennt Müller-Milch als Großkunden.
Seit Jahrzehnten wird der Markt von Tetra-Pak dominiert. Das Unternehmen mit Sitz in der Schweiz lieferte 2011 nach eigenen Angaben weltweit 167 Milliarden Packungen aus, in Deutschland waren es 4,9 Milliarden. Bei H-Milch-Verpackungen besitzt Tetra Pak in Deutschland nach Expertenschätzungen einen Marktanteil von etwa 80 Prozent. Bei Fruchtsäften ist er allerdings deutlich geringer. Das Unternehmen hat es geschafft, seinen Markennamen zum Synonym für Kartonverpackungen, in die alle Getränke ohne Kohlensäure abgefüllt werden können, schlechthin zu machen. Neben dem Branchenriesen gehören in Deutschland die Firmen SIG Combibloc - betreibt ein Werk in Wittenberg - und Elopak zu den großen Produzenten.
Alle diese Unternehmen stellen nicht nur die Kartonverpackungen her, sondern auch Abfüllmaschinen. "Diese Kombination verleiht den Anbietern eine starke Stellung und macht es neuen Wettbewerbern schwerer, im Markt Fuß zu fassen", sagt Heinrich Vogelpohl vom Lehrstuhl für Lebensmittelverpackungstechnik an der Technischen Universität München. Mit dem Verkauf von Maschinen würde meist auch der Absatz von Verpackungen gesichert.
Greatview, dessen Europazentrale und Vertrieb sich im schweizerischen Winterthur befindet, beliefert europäische Kunden nur mit den Verpackungen, die auf den gängigen Abfüllmaschinen laufen sollen. Bisher kamen diese aus China - künftig aus Halle. "Vor allem die steigenden Transportkosten aus China machen eine Produktion hier attraktiv", sagt Mayer. Halle liege sehr verkehrsgünstig, um Märkte in Nord-, Süd- und Osteuropa zu bedienen. Bei der Standortwahl ging man laut Mayer auch davon aus, dass es in Ostdeutschland einfacher sei, die nötigen Mitarbeiter aus den Bereichen Lebensmittel, Anlagentechnik und Chemie zu finden. "Wie sich aber gezeigt hat, sind qualifizierte Fachkräfte in Mitteldeutschland nicht mehr einfach zu bekommen." Bisher habe man etwa 100 Mitarbeiter eingestellt.
Fachleute sehen aber noch einen ganz anderen Grund für den Werksneubau: So würden viele Großkunden aus der Getränke-Industrie zögern, Verpackungen aus China zu kaufen. "Lebensmittel-Sicherheit ist ein ganz sensibles Thema, da will kein Produzent nur das geringste Risiko eingehen", sagt ein Branchenkenner. Verpackungsexperte Vogelpohl verweist auf die sogenannte aseptische Produktion. "Die Abfüllung findet keimfrei statt. Daher müssen etwa Fruchtsäfte nicht so stark erhitzt werden wie bei der Plastikflaschen-Abfüllung." Das Verfahren verlange allerdings viel Know-how.
Die junge Firma Greatview besitzt im Heimatmarkt umfassende Erfahrungen auf dem Getränke-Kartonmarkt. Das in Hongkong börsennotierte Unternehmen liefert in China jährlich vier Milliarden Verpackungen aus - Tendenz steigend. China ist der größte Milchmarkt weltweit. Weltweit beschäftigt das 2001 gegründete Unternehmen rund 800 Mitarbeiter.
"Spitzenqualität zu Niedrigpreisen", nannte Unternehmenschef Jeff Bi 2011 bei einem Besuch in Halle die Firmenstrategie. Bi meinte, dass durch Erweiterungen perspektivisch 15 Milliarden Verpackungen pro Jahr hergestellt werden könnten. Bisher stehen bei Greatview in der Saalestadt auch nur in einer von zwei großen Fabrikhallen Produktions-Maschinen.
Wie schnell die Expansion verlaufen soll, darüber will der Produktionschef Mayer nicht spekulieren. "Der europäische Markt besitzt einiges Potenzial", sagt Mayer. Greatview werde dies ausschöpfen. "Das ist aber kein Kinderspiel."