Amokläufer spielte kurz vor der Tat Killerspiele
Winnenden/dpa. - Der Amokläufer von Winnenden soll wenige Stunden vor der Tat noch Killerspiele im Internet gespielt haben. Die Auswertung des Rechners von Tim K. habe ergeben, dass der 17-Jährige am Vorgabend gegen 19.30 Uhr das Spiel «Far Cry 2» startete und den PC gegen 21.40 Uhr ausschaltete.
Das berichtete «Der Spiegel» unter Berufung auf Ermittler. Polizei und Staatsanwaltschaft nahmen dazu zunächst nicht Stellung. Das Rätseln über die Hintergründe der Bluttat mit 16 Toten ging auch am Samstag weiter.
In Winnenden wurde unterdessen das erste Opfer des Amoklaufs zu Grabe getragen. Viele hundert Menschen gaben der Zehntklässlerin das letzte Geleit. «Wir können die Tat nicht begreifen, die ihr den Tod brachte», sagte der Priester in der katholischen Trauerfeier. Unter den Trauergästen waren auch zahlreiche Mitschüler der Klasse 10d, die den Amoklauf und den Tod des Mädchens mitangesehen hatten. «Ihr seid jung und dürft weiterleben. Ich wünsche Euch, dass irgendwann die Freude in Euer Leben zurückkehrt», sagte der Geistliche.
In Winnenden versammelten sich auch am Samstag hunderte Trauernde am Tatort. Bundespräsident Horst Köhler forderte zum Nachdenken darüber auf, «ob wir unseren Mitmenschen immer die notwendige Aufmerksamkeit entgegenbringen», wie er den in Dortmund erscheinenden «Ruhr Nachrichten» sagte. Die politische Debatte über die Konsequenzen aus dem Amoklauf wurde fortgesetzt.
Widersprüchliche Angaben gab es am Samstag zu einer möglichen seelischen Erkrankung des Täters. Die Polizei hatte von Depressionen gesprochen, dagegen ließen die Eltern von Tim K. laut «Focus» erklären, ihr Sohn sei nie in psychotherapeutischer Behandlung gewesen und auch nie in einer Klinik behandelt worden. Polizeidirektion und Staatsanwaltschaft Stuttgart teilten dagegen am Samstag mit, Tim K. sei zwischen April und September 2008 in einer psychiatrischen Spezialklinik «mehrmals vorstellig» geworden. Bereits am Mittwoch hatte die Polizei erklärt, der 17-Jährige sei wegen Depressionen in psychiatrischer Behandlung gewesen, die er jedoch abgebrochen habe.
In der «Bild»-Zeitung meldete sich die Familie des Amokschützen zu Wort. «Wir können es immer noch nicht fassen», sagten die Großeltern am Samstag in einem Interview. «Er war doch ein ganz normaler, ruhiger Junge für uns.» Ein Großonkel des 17-Jährigen sagte auf die Frage, was er den Hinterbliebenen sagen möchte: «Man möchte sich vor allem entschuldigen.» Er wünsche den Angehörigen, «dass sie darüber hinwegkommen werden, irgendwie, im Laufe der Zeit.»
In dem Online-Spiel «Far Cry 2» geht es um die blutigen Abenteuer eines ehemaligen US-Soldaten. Nach Angaben des «Spiegels» hat sich Tim K. schon vor Monaten auch mit Schulmassakern beschäftigt. Der 17- Jährige sei unter Pseudonymen im Internet aktiv gewesen und habe sich auch in einem Diskussionsforum zu den Massakern von Erfurt und Emsdetten gemeldet.
Der 17-Jährige hatte am Mittwochmorgen an seiner früheren Schule, der Albertville-Realschule in Winnenden, und auf der Flucht nach Wendlingen 15 Menschen und sich selbst erschossen. Psychologen berichteten in Winnenden, die meisten Schüler und Lehrer hätten ihren ersten Schock überwunden. Nun gelte es, vorsichtig damit zu beginnen, die traumatischen Erlebnisse aufzuarbeiten, sagte der Leiter des Kriseninterventionsteams, Dieter Glatzer. Das Krisenteam der etwa 100 Schulpsychologen soll um weitere 27 aus anderen Bundesländern aufgestockt werden.
Vor dem Schulgebäude, in dem Tim K. insgesamt zwölf Schüler und Lehrer umgebracht hat, wird das Meer aus Blumen und Kerzen immer größer. Am Samstag wurden weiter Briefe und Frühlingssträuße abgelegt. Die Stadt richtete ein Spendenkonto für die Hinterbliebenen ein. Am Freitagabend hatten in bewegenden Gottesdiensten mehr als 1500 Menschen der Opfer des Amoklaufs gedacht. «Wir haben gemerkt, wie hilf- und wehrlos wir alle sind», sagte Gemeindepfarrer Helmut Buchmann in Wendlingen.
In der Debatte über die Konsequenzen aus dem Massaker kündigte Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) in der «Bild am Sonntag» an: «Ich will am Dienstag in meinem Kabinett über das Killerspielverbot, über die Aufbewahrung von Waffen und vor allem über mehr Prävention beraten.» Der Bund Deutscher Kriminalbeamter (BDK) forderte mehr Geld für eine bessere Internet-Kompetenz bei der Polizei.
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[Rathaus]: Torstr. 10, 71364 Winnenden