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Freudentränen und Existenzängste Heike Drechsler: Freundentränen und Existenzängste beim Mauerfall

Von Nikolaj Stobbe und Emanuel Reinke 08.11.2019, 08:12

Berlin - Sie heulte vor Glück, doch mit der Zeit mischten sich auch Sorgen und Existenzängste in die Freude: Weitspringerin und DDR-Star Heike Drechsler erlebte nach dem Zusammenbruch ihres Landes im Herbst 1989 turbulente Jahre. Die junge Mutter stürzte sich nach einer Babypause in ihr Comeback und fand nach zwei Olympiasiegen ihren Platz im neuen Deutschland.

Am Abend des Mauerfalls war die Ausnahme-Athletin zu Hause, hielt ihren neun Tage alten Sohn auf dem Arm. Im TV sah die damals 24-Jährige, wie die Grenzübergänge von immer mehr Menschen geflutet wurden, der eiserne Vorhang fiel. „Meine beste Freundin rief an, sie war vier Jahre vorher in den Westen gegangen. Wir haben beide am Telefon geheult“, erinnert sich Drechsler im Gespräch mit dem SID.

Heike Drechsler nach Mauerfall: „Wo wird mein Platz in diesem Gesamtdeutschland sein?“

Als sich der erste Jubel über den lange unbegreiflichen Mauerfall und das Ende der DDR gelegt hatte, wurde es ernst. Immer mehr hatte die junge Athletin, die mit 19 Jahren schon Weltmeisterin geworden war, mit Sorgen und Existenzängsten zu tun. „Wo wird mein Platz in diesem Gesamtdeutschland sein?“, fragte sich die damals 24-Jährige, „was erwartet meinen Sohn?“

Drechsler, die schon als Kind den Vater verloren hatte, antwortete auf die große Ungewissheit mit Sport und starken Leistungen. Schon 1990 stand sie wieder in der Bestenliste, holte bei der EM in Split Gold im Weitsprung und Silber über 200 m. „Ich hatte in der Familie optimale Bedingungen“, erinnert sich Drechsler, der Schwiergervater trainierte sie, die Schwiegermutter half bei der Babybetreuung.

Ein Jahr später dann der große Auftritt bei den Olympischen Spielen in Barcelona. „Ich wollte unbedingt gewinnen, vielleicht war es auch etwas Trotz“, erklärt Drechsler. Mit 7,14 m holte sie Gold und hörte vom Siegerpodest der Hymne. Sie dachte an ihr Team und später auch: „Jetzt hast du etwas ganz Großes geschafft. Jetzt bist du gesamtdeutsche Olympiasiegerin.“

Heike Drechsler stand immer wieder unter Dopingverdacht

Nach vielen Aufs und Abs mit dem Verzicht auf Olympia in Atlanta startete Drechsler bei Olympia in Sydney im Jahr 2000 mit 35 Jahren einen weiteren Versuch und sollte 17 Jahre nach ihrem ersten WM-Sieg wieder ganz oben stehen. Im gleichen Jahr wurde sie zu Deutschlands Sportlerin des Jahres gewählt. „Ich hatte das Gefühl, angekommen zu sein“, sagt die Thüringerin aus Gera.

Treuer Begleiter ihrer Karriere war allerdings auch der Dopingverdacht. Laut Molekularbiologe Werner Franke soll sie in der DDR Hormondoping erhalten haben, das ihr lebenslange Vorteile verschaffte. Drechsler verweist darauf, dass sie sich nicht versteckt habe und „auch nach der Wende in dem neuen, kontrollierten System meine Leistung gebracht“ habe. Lebenslang habe sie nur davon profitieren können, „dass ich im Training eine gute Basis bekommen habe“.

Auch musste sich Drechsler immer wieder zu Stasi-Gerüchten äußern. „Ich kann bei dem Thema nur wieder sagen, dass ich niemals für die Stasi gearbeitet habe“, sagt sie jetzt. Ein von ihr selbst in Auftrag gegebenes Gutachten des Politologen Helmut Müller-Enbergs habe dies bestätigt. Drechsler: „Es ist schon traurig genug, dass es in meinem Umfeld Freunde und Familienangehörige gab, die andere bespitzelt haben.“ (sid)