Zar Hiddink beendet holländische Festspiele
Basel/dpa. - Die besseren Holländer kommen aus Russland. Nach dem 3:1-Erfolg seiner «Sbornaja» über den EM-Favoriten geriet selbst ein Routinier wie Guus Hiddink ins Schwärmen.
«Das ist eine gewaltige Leistung. Ich bin sehr stolz auf alle, alle, alle Profis», kommentierte der niederländische Fußball-Lehrer den von der Fachwelt bestaunten Auftritt seiner Mannschaft, die mit einer Kopie des gegnerischen Spielstils ins Halbfinale stürmte. Die Unterlegenheit seiner zuvor hochgelobten Landsleute verblüffte auch Trainer-«Zar» Hiddink: «Unglaublich, aber wir waren in allen Belangen überlegen - technisch, taktisch und auch körperlich.»
Vorbei an den völlig entkräfteten Verlierern, die am Ende der Verlängerung enttäuscht zu Boden sanken, stürmte Hiddink freudetrunken auf den Rasen und feierte zusammen mit seinen Himmelsstürmern den Coup. Hämische Kommentare kamen dem Trainerfuchs nach der Lehrstunde für «Oranje» und den Toren von Roman Pawljutschenko (56.), Dimitri Torbinski (112.) und Andrej Arschawin (116.) jedoch nicht über die Lippen. Stattdessen lobte er seine Profis über den grünen Klee: «Diese Mannschaft hat in kurzer Zeit unvorstellbar schnell gelernt. Sie ist extrem trainierbar.»
Nur elf Tage nach der ernüchternden EM-Auftaktschlappe gegen Spanien (1:4) schlugen die vom überragenden Arschawin angeführten Russen die vermeintliche Übermacht mit ihren eigenen Waffen. «Wann immer wir einen Fehlpass gespielt haben, griffen sie mit vier, fünf Leuten blitzschnell an», klagte HSV-Verteidiger Joris Mathijsen. Dem Hochgeschwindigkeits-Fußball des Gegners hatte die «Elftal» diesmal nicht viel entgegenzusetzen. Obwohl Marco van Basten im letzten Gruppenspiel gegen Rumänien neun Spieler geschont hatte, wirkte sein Team saft- und kraftlos. Der unerwartete Einbruch blieb für den Bondscoach rätselhaft: «Auch ich stelle mir die Frage, wie es dazu kommen konnte.»
Noch Minuten nach dem Anpfiff hatte der völlig ausgepowerte Ruud van Nistelrooy Mühe, sich vom Rasen zu erheben. Gestützt von zwei Helfern machte er sich auf den Weg in die Kabine. Das bemitleidenswerte Bild des Angreifers, der mit seinem Ausgleichstreffer (86.) für kurze Hoffnung und die Verlängerung gesorgt hatte, passte zur Stimmung im Stadion. Nach den gefeierten Gruppensiegen gegen Weltmeister Italien (3:0), Vize-Weltmeister Frankreich (4:1) und Rumänen (2:0) endeten die Festspiele in Orange mit einer Niederlage gegen einen Außenseiter. «Der Traum ist vorbei», klagte der von Schalke umworbene Mittelfeldspieler Orlando Engelaar.
Nicht Wesley Sneijder oder Rafael van der Vaart, sondern der russische Turbo Arschawin avancierte zum Matchwinner. Die noch in den ersten beiden Turnierspielen gesperrte Offensivkraft brillierte wie schon in der Partie gegen Schweden mit temporeichen Dribblings und präzisen Pässen. «Er ist der geborene Gewinner. Es ist eine große Freude, mit einem solchen Fußballer zu arbeiten», befand Hiddink. Der eigenwillige Russen-Star vom UEFA-Cup-Sieger aus St. Petersburg gab das Lob an seinen Coach zurück: «Am Ende hat der bessere Holländer, unser Trainer, gewonnen.»
«Hiddink fällt Oranje» kommentierte die Zeitung «De Telegraaf», «der Marsch zum europäischen Titel war gestern zu Ende, weil ein alter, schlauer niederländischer Fuchs zu klug für Oranje war.» Doch in der Stunde des Erfolgs im dem für ihn prestigeträchtigen Duell mit seinen Landsleuten vermied der Coach solch markige Sprüche, mit denen er noch am Vortag für Aufsehen gesorgt hatte. «Ich bereue es, gestern den Begriff 'Verräter des Jahres»' gebraucht zu haben. Verräter - eigentlich mag ich dieses Wort gar nicht.»