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Würdigung Würdigung: Ein großes Boxer-Herz hörte auf zu schlagen

Von Gunnar Meinhardt 04.02.2005, 15:23

Hollenstedt/dpa. - Kräftig in der Erscheinung, vor Energie und Zuversicht strotzend, präsentierte sich Schmeling selbst im hohen Alter. Er schien gleichermaßen unverwüstlich und außergewöhnlich zu sein. Jetzt bleiben nur noch die Erinnerungen an eine der herausragendsten Persönlichkeiten des 20. Jahrhunderts.

Der frühere Bundespräsident Walter Scheel hatte Schmeling in einem Glückwunsch-Telegramm zu dessen 70. Geburtstag zu «Deutschlands Sportler Nummer eins auf Lebenszeit» erkoren. Die gewaltige Popularität des einzigen deutschen Profibox-Weltmeisters aller Klassen blieb bis zu seinem letzten Tag ungebrochen. Sie überstieg sogar die von Steffi Graf, Michael Schumacher und Boris Becker oder seiner Freunde Fritz Walter, Uwe Seeler, Franz Beckenbauer und Henry Maske.

Schmeling selbst erschien es sonderbar, wie er sagte, «dass ich mit meinen großen Kämpfen nach den vielen Jahrzehnten noch so viel Aufmerksamkeit erhalte - und das vor allem aus Amerika». In Übersee tauft zwar heute keiner mehr seine Kinder auf die Namen Max oder Anny, wie es landesweit aus Verehrung nach seinem spektakulären K.o.- Sieg am 19. Juni 1936 im New Yorker «Yankee Stadium» gegen Joe Louis geschah, doch die Symbolfigur des deutschen Sports erhielt ungezählte Interviewwünsche und Autogrammpost aus allen Himmelsrichtungen. Dies alles schmeichelte seinem Ego, zugleich erwuchs daraus aber auch die glückliche Erkenntnis, «das Leben richtig gelebt zu haben».

Sein Lebensmittelpunkt befand sich rund 40 Kilometer südwestlich von Hamburg im Heideort Hollenstedt. Von zwei Haushälterinnen umsorgt, genoss er auf seinem 100 000 Quadratmeter großen Grundstück mit Teich, Jagdhaus und Gemüsegarten die Natur pur. Boxkämpfe sah er sich seit Jahren nur noch zu Hause an. Mittwochs fuhr er häufig zu Freunden zum Skatspielen und ging so oft wie möglich auf die Pirsch.

Die Zeiten, da kein gesellschaftliches Promitreffen ohne den umworbenen Schwergewichts-Weltmeister von 1930 und 1931 über die Bühne ging, waren seit dem Tod seiner Frau Anny Ondra im Jahr 1987 vorbei. Einen der zuletzt seltenen großen Auftritte hatte er am 14. Dezember 1996, als er in Berlin die nach ihm benannte Sportarena einweihte. Wie auf wundersame Weise hauchte das Sich-Rarmachen seinem Mythos unablässig belebenden Odem ein und ließ ihn über Generationen hinweg unvergessen werden. Ein Mythos, der nicht nur in seinen sportlichen Triumphen wurzelt, sondern vor allem in seiner Person.

Die WM-Krone hatte er sich am 12. Juni 1930 in New York gegen den Amerikaner Jack Sharkey auf Grund einer Disqualifikation in der 4. Runde wegen Tiefschlags erkämpft. Nach einer erfolgreichen Titelverteidigung am 3. Juli 1931 in Cleveland durch technischen K.o. in der 15. Runde gegen Young Stribling (USA) musste er sie am 21. Juni 1932 in New York nach einer Punktniederlage gegen Sharkey wieder abtreten. Der dunkelhaarige Bursche aus dem uckermärkischen Klein-Luckow kehrte nie den großen Max heraus, obwohl ihm die Welt zu Füßen lag.

Der Sohn eines Steuermanns bei der Hamburg-Amerika-Linie und einer Bauerntochter war stets um Anstand und Sitte, um Harmonie und Gerechtigkeit, um Ehrlichkeit und Bescheidenheit bemüht und führte 54 Jahre eine skandalfreie Ehe. Trotz Glanz und Glamour bewahrte er menschliche Größe. Davon besäße er so viel, wurde behauptet, dass er damit einige hundert Menschen hätte ausstatten können.

«Wenn es einem gut geht», lautete Schmelings Credo, «soll man dafür sorgen, dass es auch anderen gut geht.» Und er verwirklichte das auf ganz praktische Art. Durch seine 1991 gegründete Stiftung gewährte das kinderlos gebliebene Idol bedürftigen Menschen finanzielle Hilfe. Insgesamt 15 Organisationen und Interessengruppen sowie einzelne Personen können auch in Zukunft auf Zuwendungen bauen. Die Liste jener, die von den Zinsen seines auf «gut zwei Millionen Mark» angewachsenen Stiftungskapitals profitieren dürfen, trug er stets griffbereit in der linken Brusttasche seines Jackets.

Der Sport heute mobilisiere vielleicht einige Millionen mehr als zu seiner Epoche. Aber die totale Identifikation des Mannes von der Straße mit den Gladiatoren des Ringes oder der Haarnadelkurve gebe es nicht mehr, behauptete Schmeling, der zwischen 1924 und 1948 insgesamt 70 Profikämpfe bestritt, von denen er 56 gewann. Dass er zum Idol wurde, verdankte er mehr der Epoche als sich selbst. «Die Namen anderer Athleten», formulierte er einst, «werden von der Zeit ausgelöscht. Die der Weltmeister im Schwergewicht nicht. Sie leben wie Herkules im Gedächtnis fort, aufgehoben in der Legende.»

Einige hielten dem Jahrhundert-Zeitzeugen vor, er hätte es meisterhaft verstanden, auf den «braunen Zug» aufzusteigen. Schmeling bekannte, kein Widerstandskämpfer gegen das Naziregime gewesen zu sein. Dazu waren die Bilder mit Hitler beim Teetrinken viel zu kompromittierend. Doch es sprach für ihn, dass er zu seinem jüdischen Trainer und Manager Joe Jacobs stand, bis zu dessen Tod 1939. Er riskierte Kopf und Kragen, als er nach der Reichskristallnacht zwei jüdischen Jungen in seiner Wohnung einige Tage Unterschlupf gewährte. Aus Dankbarkeit wird im US-Bundesstaat Nevada seit 1989 der 6. Dezember als «Max-Schmeling-Tag» begangen.

«Was ich an Schmeling schätzte, war vor allem seine Klugheit. Was die anging, war er wirklich Weltmeister. Er war zu klug - und anständig, um sich von Hitler als Zugpferd benutzen zu lassen», schrieb Curt Riess, ein bekannter deutscher Journalist, der als Jude aus Deutschland vertrieben wurde.

Vergangenes zu reflektieren, war Schmeling seit langem leid. Denn über sein Leben sei alles Interessante und Bedeutsame unzählige Male geschrieben und erzählt worden. Verfiel er dennoch mal ins Plaudern, konnte er in seinem sonoren Redeschwall kaum innehalten. Der Zuhörer wurde von seinen mit präzisen historischen Daten belegten Anekdoten und Episoden fasziniert.

An Ruhestand verschwendete der Mann keinen Gedanken. Mit pedantischer Selbstdisziplin versuchte er stets sich fit zu halten. Jeden Morgen nach dem Aufstehen spulte er über viele Jahre sein Fitnessprogramm ab. So glaubte er, seine Vision verwirklichen zu können. Doch 238 Tage vor seinem 100. Geburtstag hörte das weltberühmte Boxer-Herz für immer auf zu schlagen.