WM-Historie: Frankreich 1938 WM-Historie: Frankreich 1938: Italien wird erneut Weltmeister

Hamburg/dpa. - Die legendäre «Breslauer Elf»und das «Wiener Wunderteam» wurden zwangsfusioniert zu einerMannschaft, die die Fußball-Welt das Fürchten lehren sollte. Doch dieMission endete im Debakel. Während Italien den Titel von 1934verteidigte, schied die Mannschaft von Reichstrainer Sepp Herbergersang- und klanglos nach dem ersten Spiel aus. Es ist bis heute dasschlechteste WM-Abschneiden einer deutschen Elf.
Österreich war längst für die Titelkämpfe qualifiziert, alsReichssportführer Hans von Tschammer und Osten am 3. April zum«Verbrüderungsspiel» in den Wiener Prater rief. Österreich gewannsein vorerst letztes Spiel als eigenständige Nationalmannschaft mit2:0, danach sollten Herberger und Otto Nerz das gemeinsame Teambenennen. Die beiden Reichstrainer waren schon seit Olympia 1936 inBerlin zerstritten, Nerz warf am 12. Mai die Brocken hin.
Für seine «Wiener Melange mit preußischem Einschlag» bekamHerberger nicht alle Kicker, die er auserwählt hatte. Der sensibleWiener Ausnahmestürmer Matthias Sindelar, auch «Mozart des Fußballs»genannt, gab ihm einen Korb unter dem Vorwand, er fühle sich zu alt.Sindelar war Jude, er wurde später von einem Teamkollegen denunziert.Am 23. Januar 1939 vergiftete er sich in seiner Wohnung mit Gas. 15000 Trauergäste gaben ihm auf dem Zentralfriedhof das letzte Geleit.
Ohne Sindelar erlitt die «großdeutsche» Mannschaft Schiffbruchbeim Eröffnungsspiel gegen die Schweiz. Herberger hatte sechsDeutsche und fünf Österreicher aufgestellt, denen beim Einlaufen inden Pariser Prinzenpark Hass entgegenschlug. Sie wurden mit Tomaten,Eiern und Flaschen beworfen; beim Horst-Wessel-Lied ertönte eingellendes Pfeifkonzert. Das Spiel endete 1:1 nach Verlängerung, unddie Nazi-Hymne war noch einmal zu hören. Diesmal setzte sich dieSchweiz 4:2 durch - der WM-Dritte von 1934 war ausgeschieden, dieWelt lachte über die «hässlichen Deutschen».
Durch Österreichs unfreiwilligen Rückzug hatte Schweden kampflosdas Viertelfinale erreicht, wo es Kuba - neben Niederländisch-Indien(heute Indonesien) der Exot der WM - mit 8:0 vom Platz fegte. Auchfür die Gastgeber war die Runde der letzten Acht nach dem 1:3 gegenItalien die Endstation, das französische Publikum schlug sichdaraufhin im WM-Finale auf die Seite der Ungarn. Die Magyaren hattenvor dem Aufeinandertreffen mit Titelverteidiger Italien die Schweizmit 2:0 und Schweden im Halbfinale mit 5:1 aus dem Weg geräumt.
Den Brasilianern blieb nur der 4:2-Sieg im «kleinen Finale» gegenSchweden, doch die Ballkünstler um die beiden Stars Leonidas undDomingos hatten das Publikum verzaubert und wurden als "heimlicheWeltmeister" gefeiert. Die unglückliche 1:2-Niederlage gegen Italienim Halbfinale war das Ergebnis einer katastrophalen Fehleinschätzungdes brasilianischen Trainers. Ademar Pimenta wollte Leonidas, derzuvor schon sechs Tore erzielt hatte, für das Finale schonen - einFauxpas, der die «Selecao» um den möglichen ersten WM-Titel brachte.
Der überragende Leonidas holte sich mit acht Treffern dennoch dieTorjägerkrone. Im «Jahrhundert-Spiel» gegen Polen (6:5 n.V.) hatte erdie Gegner regelrecht vorgeführt. In der Achtelfinal-Partie inStraßbourg erzielte er ebenso wie der später eingedeutschte PoleErnest Willimowski vier Tore. Als es anfing zu regnen, zog er seineSchuhe aus und spielte barfuß, bis ein FIFA-Beobachter beimSchiedsrichter protestierte. Insgesamt schoss Leonidas in 25Länderspielen 25 Tore. Später stieg er zum angesehensten Fußball-Reporter in Brasilien auf.
Ein Sportreporter steckte auch hinter den Erfolgen der Italiener.Nach dem unrühmlichen Titelgewinn vier Jahre zuvor im eigenen Landpolierte die «Squadra Azzurra» 1938 unter Vittorio Pozzo mit nur dreiSpielern von 1934 (Giuseppe Meazza, Giovanni Ferrari, EraldoMonzeglio) ihren Ruf wieder auf. Pozzo war kein begnadeter Fußballer,aber der schärfste Kritiker des «Calcio». Seine Kommentare in der «LaStampa» waren vernichtend. Die Vermutung liegt nahe, dass dieFunktioniäre ihn nur deshalb drei Mal ins Amt des Nationaltrainershievten, um ihn als kritischen Gegenspieler auszuschalten.
1929 übernahm Pozzo zum dritten Mal die italienischeNationalmannschaft, führte sie zu den WM-Titeln 1934 und 1938 und zumOlympiasieg 1936. Seinen Hut nahm er erst, als Italien imViertelfinale der Olympischen Spiele 1948 in London mit 3:5 anDänemark scheiterte. Bis heute ist Pozzo der Einzige, der als Trainerzwei WM-Titel gewinnen konnte.
Das Finale war eine klare Angelegenheit. Die Italiener gewannendank der zweifachen Torschützen Silvio Piola und Gino Colaussi mit4:2. Für Ungarn trafen Pal Titkos und Györgi Sarosi. Der promovierteJurist führte Juventus Turin als Trainer 1952 zum Meistertitel, wurdespäter italienischer Staatsbürger und nannte sich fortan Giorgio.Ach Ungarns Nationaltrainer Alfred Schaffer kehrte seinem Land nachder WM-Niederlage den Rücken und heuerte beim FC Wacker München an.
