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Wir wollen niemals artig sein

29.09.2003, 12:18

Halle/iposa. - Besonders Punks haben zu DDR-Zeit starke Repressalien erfahren müssen. Sie galten als asoziale, subversive Elemente. Wie hat ein Punk Halle zu dieser Zeit erlebt? Man hört ja auch des öfteren von legendären Punkkonzerten in den halleschen Gemeinden ...

Ich persönlich habe die für die ostdeutsche Punkszene besonders repressiven Jahre 1983/84 durch die Gnade der späten Geburt nicht miterleben müssen. Dadurch, dass man als Punk schon durch sein Aussehen die sozialistische Gesellschaft in Frage stellte, war eine Konfrontation mit den Staatsorganen vorprogrammiert. Punk war in der DDR die erste Bewegung, die radikal mit dem System gebrochen hatte und sich auch noch rausnahm, die Gegebenheiten öffentlich anzuprangern. Entsprechend hart griff man von staatlicher Seite durch. Der von Erich Mielke persönlich unterschriebene Befehl zur Zerschlagung der Punkszene spricht da Bände. Aber auch die Reaktionen der Bürger waren nicht zu unterschätzen, von Sprüchen wie “vergessen zu vergasen” bis hin zu tätlichen Angriffen reichte die Zivilcourage.

Besonders die Veranstaltungen in der halleschen Christuskirche, wo das erste Punktreffen der DDR stattfand, stellten für hallesche Punks wie für das MfS einen Höhepunkt im tristen DDR-Alltag dar. Umfangreichen Verhinderungs- und Einschüchterungsstrategien der staatlichen Organe versuchte man frontal zu begegnen, beispielsweise durch Überrennen der Polizeiketten. Oder man umging sie kreativ, indem man sich als Bauarbeiter verkleidete.

Es gibt den bekannt gewordenen Fall des Imad Abdul-Majid, der sich als IM "Dominique" in den Punkszenen von Halle, Leipzig und Berlin bewegte. Wie groß war in Halle die Konfrontation mit dem DDR-Staat respektive der Staatssicherheit?

Mielkes Papier wirkte natürlich auch bis nach Halle. Man beobachtete die Szene sehr genau, regelmäßig gab es Punkzählungen, man analysierte akribisch das zusammengetragene Material. Aktiv wurde die Stasi gegen Pfarrer Neher, der den Punks die Räumlichkeiten der Christuskirche zur Verfügung stellte. 1984 gab es eine groß angelegte Aktion zur Schwächung der Punkszenen, die auf alle Oppositionelle abzielte. Was Imad betrifft, kann ich mir kein Urteil erlauben, schade ist nur, dass er sich meines Wissens nie dazu geäußert hat. Er war ja eine der Schlüsselfiguren in Leipzig und organisierte auch Veranstaltungen in der Christuskirche.

Die schon in der DDR aktive hallesche Punkband K.V.D. sang 1990 im Stück "Nachruf auf ein Land" davon, die DDR zu "vermissen", obwohl man von ihr "beschissen" wurde und endete mit dem Aufruf, "der Kampf" müsse weitergehen. Welchen Einschnitt markierte die politische Wende 1989 für die Punkszene?

Die Szene explodierte förmlich. Was vorher nur bedingt möglich war, wurde nachgeholt: Kontakte ins Ausland, Hausbesetzungen mit den entsprechenden Szenekneipen, massenweise Konzerte. Nach der Wende kam ja eigentlich die schönste und spannendste Zeit, alles pulsierte, war in Bewegung. Es war wie ein großer rechtsfreier Raum, irgendwie hatte man das Gefühl, plötzlich wären alle erwacht.

Was hatte sich mit dem Verschwinden der DDR innerhalb der halleschen Szene verändert?

Viele hatten sich ja für die Veränderung der DDR engagiert, nicht für den Anschluss an die BRD. So versuchte man eigene Zechen zu setzen, man hat ja noch das Gefühl, hier was ändern zu können. Die endgültige Ernüchterung machte sich aber erst etwas später breit. Die Szene änderte sich allmählich. Mehr Entfaltungsmöglichkeiten führten logischerweise zu Ausdifferenzierungen. In Leipzig sah man bei den “Reaktions-Konzerten” Hardcore-Bands, die dem Punk eine neue Richtung und viel neue Energie brachten. Auch in Halle gab`s regelmäßig Konzerte im G.i.G., was damals noch das Antifacafé war. Hier war aber eher der Punkrock der alten Schule gefragt. Die Leute aus den alten Szenen versuchten sich in den Jahren nach 1989 als Künstler, gingen in die Politik, zogen sich ganz ins Private zurück. Einige versanken im Alkoholismus, nahmen Drogen. Meist war es ein individuell gemixter Cocktail aus diesen Zutaten.

Was ist denn aus all den alten halleschen Punkbands so geworden?

Größenwahn um Moritz Götze gibt es nicht mehr. Götze ist ja jetzt ein bekannter hallescher Künstler. Müllstation gibt es immer noch, zwei von K.V.D. sind jetzt bei Eva Lofft, einer bei Katzenkacke. Die Gossenbonzen waren mal als Uprising unterwegs, die sich mittlerweile auch aufgelöst haben. Was Erledigt machen: keine Ahnung.

Was macht das Leben als Punk heutzutage aus? Haben die politisch-gesellschaftlichen Veränderungen in irgendeiner Form die Punk-Identität beeinflusst?

Nach wie vor habe ich Probleme im Unterordnen. Die Veränderungen in den letzten Jahren hatten sicher einen Einfluss auf die eigene Identität: viel Pessimismus und die Erkenntnis, dass man Nischen verteidigen muss, damit wenigstens ein bisschen Entfaltung möglich ist. Und die Verteidigung des Spaßes gegen zuviel Verbitterung. Ob das, was ich heutzutage mache, Punk ist, ist mir dabei völlig egal, das können die Dogmatiker oder was weiß ich wer erörtern.