Wildkräutern Wildkräutern: Neue Aromen in der Küche entdecken
Sinzig/gms. - «Wenn ich gesichert weiß, dass eine Pflanze unbedenklich ist, finde ich immer einen kulinarischen Weg, sie zu verwenden», erklärt Jean-Marie Dumaine vom Restaurant Vieux Sinzig in Sinzig an der Ahr. Die ambitionierte Naturküche des Normannen Dumaine ist weit über die Grenzen des Ahrtals bekannt. Seit vielen Jahren hat sich der Kochkünstler den Pflanzen aus freier Natur und dem eigenen Kräutergarten verschrieben. Wenn er nicht kocht, bleibt ihm in Wald und Flur kein Kraut verborgen. In Kräuterwanderungen, Kochkursen und Vorträgen gibt Dumaine Einblicke in sein immenses Wissen. Seine Kenntnisse über Heilwirkung und Anwendung in der Küche fasziniert nicht nur Gäste, sondern auch Botaniker und Pharmakologen.
Aus mehr als 150 verschiedenen Pflanzen zaubert der Küchenchef rund ums Jahr Spezialitäten wie Kartoffelpastete mit Vogelknöterich oder mit Pfifferlingen gefüllte Glockenblumen. Bockshornklee-Reis mit rotem Paprika schmeckt zu Tintenfisch und Wiesenschaumkrautsenf zu Wildschweinnüsschen in der Kartoffelkruste. Japanischer Knöterich in Essig, Huflattich-Blüten oder Spitzwegerich-Knospen in Olivenöl und vieles mehr werden an den Feinkosthandel oder privat verschickt.
Ob Blüten, Blätter, Stängel, Früchte, Wurzeln, frisch, getrocknet oder tiefgefroren - alles wird in der Küche des Vieux Sinzig ausprobiert. «Ich bekomme immer ein anderes Aroma», schwärmt Dumaine. Allerdings sei «Zungenspitzengefühl» gefragt, denn Wildpflanzen hätten einen starken Eigengeschmack.
Der Pflanzenkenner aus dem Ahrtal sammelt alles selbst. Die Region um Ahr und Rhein sei mit ihrem idealen Mikroklima prädestiniert für seine spezielle Küche, sagt er. Unkraut ist ein Unwort für ihn, denn «jede Pflanze hat ihre Berechtigung». Für unterwegs empfiehlt er als Bestimmungsbuch den vielfach aufgelegten Klassiker «Was blüht denn da. Wild wachsende Blütenpflanzen Mitteleuropas» von Dietmar Aichele und Marianne Golte-Bechtle (Kosmos Verlag, ISBN 3-440-07244-4, 29,80 Mark).
In Europa wachsen mehr als 12 000 verschiedene Pflanzenarten. Ungefähr 1500 davon seien als genießbar bekannt, in Wirklichkeit dürften es viel mehr sein, so Francois Couplan in seinem Buch «Wildpflanzen für die Küche» (AT Verlag, ISBN 3-85502-571-1, 44 Mark). Denn nur wenige hundert davon werden nach Angaben des Botanikers, der auf Reisen durch die fünf Kontinente sein Wissen überessbare Wildpflanzen vertiefte, als giftig eingestuft.
Wer allerdings einfach loszieht und irgendwelche Pflanzen rupft, wird nicht viel Vergnügen haben. Wie immer sind im Umgang mit der Natur Respekt und Vorsicht geboten. Giftpflanzen sollte man gut kennen. Inhaltsstoffe bestimmter Pflanzen wie die in den Gänsefußgewächsen enthaltene Oxalsäure oder die Alkaloide des Beinwells sind nur in geringen Mengen bekömmlich.
Selbst die besten Pflanzen werden schädlich, wenn sie mit Schadstoffen belastet sind. Deshalb rät Francois Couplan, Straßenränder und die Nähe von Feldern zu meiden, die mit Pestiziden oder chemischen Düngemitteln behandelt wurden. Es sollte nur so viel gesammelt werden, wie benötigt wird. Tabu seien vom Aussterben bedrohte oder am Fundort nur vereinzelt vorkommende Pflanzen.
Oftmals muss nicht weit gegangen werden. So zählt der Schreckenvieler Freizeitgärtner, der den Ziergarten überwuchernde Geißfuß oder Giersch, zu den besten Wildgemüsearten. Die jungen Blätter eignen sich roh im Salat, ältere füllen gekocht Aufläufe oder Soufflés. Taubnesseln kommen in die Lasagne, Wegerich in Saucen und die sogar im Balkonkasten ausdauernde Vogelmiere in die Kaltschale.
Auch Rita Harnisch aus dem thüringischen Lobenstein schwärmt in höchsten Tönen vom Giersch, den sie zur Entschlackung des Körpers empfiehlt. Kräuter bestimmen ihr Leben. In ihren Kursen geht es auf Wanderungen durch die intakte Pflanzenwelt des ehemaligen Grenzstreifens zwischen Thüringen und Franken.