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Nahe Leipzig geboren Wie erster schwarzer Polizist Ostdeutschlands vom Helden zum Posträuber wurde

Samuel Meffire war 1992 der erste afrodeutsche Polizist Ostdeutschlands und Motiv einer bundesweiten Plakatkampagne gegen Rassismus. Kurz darauf wurde er zu zehn Jahren Knast verurteilt. Jetzt erscheint seine Biografie.

Von Karin Wollschläger Aktualisiert: 31.03.2023, 10:27
Samuel Meffire war der erste schwarze Polizist der DDR.
Samuel Meffire war der erste schwarze Polizist der DDR. (Foto: Christian Amouzou)

Berlin/Leipzig/KNA - Samuel Meffire sitzt am Tisch, packt drei Teebeutel in seine Tasse mit heißem Wasser, lässt sie kurz ziehen, rührt langsam um und trinkt vorsichtig. In einer Backstein-Remise des Ullstein-Verlags in Berlin-Mitte beantwortet der muskulöse Hüne mit Bedacht die Fragen zu seiner Autobiografie.

Der 1970 nahe Leipzig geborene Afrodeutsche spricht mit tiefer, sanfter Stimme. Erzählt davon, wie er seinen Töchtern (11 und 6 Jahre) behutsam erklärte, was in Papas Leben los war. Eine ganze Menge, viel Übles war dabei. Papa war nicht nur Ostdeutschlands erster schwarzer Polizist, sondern auch ein Gewaltverbrecher.

Samuel Meffires Geschichte beginnt am 11. Juli 1970 in der DDR

Spektakulär genug, dass der Streamingdienst Disney+ seine Geschichte verfilmt hat - zu sehen ab 26. April. Doch Meffire winkt ab: „Das ist Popcorn-Kino für die Couch.“ Nicht alles habe sich so zugetragen, wie in der siebenteiligen Serie dargestellt. Wie Meffire selbst die irre Achterbahnfahrt seines Lebens schildert, lässt sich ab diesem Donnerstag unter dem Titel „Ich, ein Sachse“ auf 400 Seiten nachlesen. Es ist auch ein Zeitzeugnis deutsch-deutscher Geschichte.

Samuel Meffires Geschichte beginnt am 11. Juli 1970 in der DDR. Sein Geburtstag ist zugleich der Todestag seines aus Kamerun stammenden Vaters, der unter ungeklärten Umständen stirbt. Die Mutter glaubt an eine rassistisch motivierte Ermordung, kommt nie darüber hinweg, verfällt dem Alkohol, prügelt Meffire immer wieder windelweich, verlangt Stärke und Leistung.

Als die DDR zusammenbricht, schlägt Meffire der Rassismus plötzlich brutal ins Gesicht

„In meiner Kindheit, gab es viele Dinge, die gut waren, nur das Wenigste davon ging von meiner Mutter aus, das ist das Tragische“, sagt Meffire und schaut nachdenklich vor sich hin. „Vor der Person, die mir am nächsten hätte sein sollen, hatte ich einfach nur eine Heidenangst.“ Zwei Lektionen habe sie immer gelehrt: „Es gibt keinen sicheren Ort. Vertraue niemandem.“ Das habe seine „Festplatte“ fehlprogrammiert.

Als die DDR zusammenbricht, schlägt Meffire der Rassismus plötzlich brutal ins Gesicht. Er schreibt: „Irgendwelche blöden Sprüche gab es immer schon. Aber der Sozialismus verlangte von seinen Bürgern solidarisches Mitgefühl mit den Unterdrückten der Welt.

Er macht eine Ausbildung und wird der erste schwarze Polizist in Ostdeutschland

Farbenblindheit inklusive. Und weil das so war und weil die Staatsmacht der Arbeiter und Bauern bei ihren Grundeinstellungen keinerlei Spaß verstand, waren auch alle farbenblind. So durfte ich aufwachsen. Ich war geschützt durch die Haltung der Partei.“ Nach der Wende lebt er in Dresden auf einmal in permanenter Angst vor gewaltsamen Neo-Nazis. „Vampire“, wie er sie nennt. Meffire will nicht ohnmächtig demgegenüber sein - und geht zur Polizei.

Er macht eine Ausbildung und wird der erste schwarze Polizist in Ostdeutschland. Parallel dazu wird er 1992 Motiv einer sogar international beachteten Plakat-Kampagne gegen Rassismus: Mit verschränkten Armen, rasiertem Schädel und ernstem Gesicht blickt Meffire im dunklen Rollkragenpulli in die Kamera. Darüber in fetten Lettern: „Ein Sachse.“ Ein starkes Motiv, das einen Nerv trifft in einer Zeit, als in Ostdeutschland Asylbewerberheime angezündet werden und der Rassismus täglich für Schlagzeilen sorgt.

Meffire fühlte sich durch eine Anfrage des CDU-Innenministers geschmeichelt

Der sächsische CDU-Innenminister und Theologe Heinz Eggert wird auf ihn aufmerksam, will von ihm wissen, wie es ihm in der Polizei ergeht und wie man den grassierenden Ausländerhass besser in den Griff bekommen kann. Meffire fühlt sich geschmeichelt, hat den Eindruck mit Eggert könne sich tatsächlich etwas ändern. In seinem Buch nennt Meffire den Minister nur den „Messias“.

Eggert nimmt den 22-Jährigen mit zu Veranstaltungen. Im Buch heißt es: „Es ist eine Safari durch die Zeitungsspalten und TV-Shows, durch eine Öffentlichkeit, die mit den wilden ostdeutschen Wellenbewegungen nur wenig anzufangen weiß und die auf die blutig unappetitlichen Ereignisse und den ostdeutschen Frust maximal irritiert reagiert. Es ist eine Showlawine.“

Meffire ist unzufrieden mit dem Polizistenalltag

Doch Meffire ist unzufrieden mit dem Polizistenalltag. Für seinen Geschmack ist das alles noch zu ineffektiv, wird zu wenig durchgegriffen. Er quittiert den Dienst, gründet mit Kumpels eine Sicherheitsfirma. Der Laden läuft nicht, Meffire verdingt sich mit Nebenjobs, als Türsteher und rutscht ab, dreht ein paar krumme Dinger, um an Geld zu kommen, flieht in den vom Bürgerkrieg gebeutelten Kongo, erkrankt dort und stellt sich letztlich den Behörden. Im Buch ist es etwas diffus beschrieben.

In alten Zeitungsberichten lässt sich genauer nachlesen, was geschah: Im Oktober 1996 wurde der ehemalige Vorzeigepolizist vom Dresdner Landgericht zu einer Freiheitsstrafe von neun Jahren und neun Monaten verurteilt, unter anderem wegen räuberischer Erpressung, schweren Raubes und Nötigung.

Heute arbeitet Meffire als Coach für Mitarbeitende im Öffentlichen Dienst

Er hatte gestanden, mit Komplizen ein Rentnerehepaar, ein Bordell, eine Bar sowie eine Poststelle überfallen und mehrere zehntausend Mark erbeutet zu haben. Sieben Jahre muss er absitzen, danach kämpft er sich in ein „normales“ Leben zurück, macht eine Therapie, schreibt Krimis, arbeitet in der Jugendhilfe.

Heute arbeitet Meffire als Coach für Mitarbeitende im Öffentlichen Dienst zum Thema Gefahrenlagen. Er lebt mit seiner Familie in Bonn. Ein strukturierter Alltag gibt ihm Sicherheit, erzählt er. „Beim Prozess, wieder zu vertrauen, Vertrauen haben zu dürfen - da sehe ich mich noch mittendrin.“

„Ich kann nicht an einen kleinlichen Gott glauben“

Er bezeichnet sich als spirituellen Menschen und nimmt sich jeden Morgen eine Stunde Zeit für Stille. Er schreibt: „Ich kann nicht an einen kleinlichen Gott glauben, nicht an einen Kinderbuch-Rauschebart und nicht an einen Kerl, der in den Schlafzimmern und Kochtöpfen der Leute herumspioniert. Was auch immer hinter der Pappwand sein mag, ich sehe mich nicht länger getrennt davon, so viel hat mich mein kleiner Amoklauf gegen die Welt gelehrt. Und gegen die Vernunft. Und gegen mich selbst gelehrt.“