Wenn Tote stören - Vom Sterben an der Mauer
Berlin/dpa. - Der 24-jährige Lutz Schmidt sackte im Februar 1987 in einer nebeligen Nacht in Berlin-Treptow zusammen, als er über die letzte Sperre der Mauer in den Westen klettern wollte. «Tod durch Herzschuss», vermerkte die DDR-Staatssicherheit nach der missglückten Flucht des Kraftfahrers in ihren geheimen Unterlagen.
Offiziell hieß es, der Ehemann und junge Vater sei bei einem Autounfall gestorben. Die Stasi zwang Ehefrau Karin zum Schweigen über den Fluchtversuch. Sie musste umziehen, als Gerüchte über die wahre Todesursache aufkamen. Besonders bitter war, dass fortan der Vater des Toten die Familie als Inoffizieller Mitarbeiter (IM) der Stasi überwachte.
In dem Film «Wenn Tote stören - Vom Sterben an der Mauer» hat Autor und Regisseur Florian Huber anhand von Stasi- und Polizeiakten die Geschichten von drei Maueropfern aus drei Jahrzehnten rekonstruiert, in Szenen nachgestellt und mit Angehörigen gesprochen. Doch der Film, der am 1. August um 22.45 Uhr in der ARD läuft, zeigt mehr. Politiker, Botschafter, ehemalige Grenzsoldaten und Stasi-Offiziere kommen mit ihren konträren Ansichten zu Wort. Deutlich wird, dass sich seit den 70er Jahren viele in Ost und West mit der Mauer arrangierten und die Toten nur all zu oft störten. Lutz Schmidt gilt als das 122. Opfer von mehr als 130 Toten an der Mauer.
«Ich finde heute, das Geschehen darf nicht in Vergessenheit geraten. Die DDR war ja auch meine Zeitgeschichte, aber in der Schule spielte das gar keine Rolle, es war uns total egal», sagte der aus Bayern stammende Huber am Dienstagabend bei der Voraufführung in der Berliner Mauer-Gedenkstätte in der Bernauer Straße. Er sehe es jetzt als seine Aufgabe an, der heutigen Generation den Blick zu öffnen, sagte der 39-Jährige. Die Recherchen hätten ihn tief berührt.
In dem Film erklärt der SPD-Politiker Egon Bahr, der Westen habe sich im Zeichen der Entspannungspolitik mit dem Osten damals zurückgehalten. «Und: Gewohnheit ist ein schrecklicher Meister.» Auch der CDU-Politiker und frühere Regierende Bürgermeister von Berlin, Eberhard Diepgen, gibt zu Protokoll, dass die Gewöhnung an die Todesfälle an der Mauer im Westen immer größer geworden sei. Neben diesen nüchternen Aussagen wirken die fast ausschließlich grauen Szenen von den missglückten Fluchten besonders eindringlich.
So schwieg die westdeutsche Politik auch zu dem Mauer-Läufer Dieter Beilig, der von West-Berliner Seite aus nahe dem Brandenburger Tor auf die Grenze geklettert war, um für Freiheit und Demokratie zu demonstrieren. Der junge Mann wurde nach seiner Festnahme von DDR- Grenzern erschossen, als er fliehen wollte. Die Stasi strickte daraus die Legende von der Notwehr der Grenzsoldaten. Sogar Fingerabdrücke des Toten fanden sich im nachhinein auf einer Kalaschnikow, die Beilig benutzt haben soll. Und ein Oberst der Nationalen Volksarmee rechtfertigte den Ausbau der Grenzanlagen damit, dass man mit «Angriffen» auf die Mauer aus dem Westen habe rechnen müssen.
Regisseur Huber hat viel historisches Material für die knapp einstündige Dokumentation gesichtet und Sequenzen gefunden, die für sich sprechen. So sagt ein sichtlich aufgekratzter Erich Honecker als SED-Partei- und Regierungschef in die Kameras, durch die Errichtung des «antifaschistischen Schutzwalls» habe die DDR einen «großen Beitrag für den Frieden geleistet».