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Vormund für Frauenmünder

Von Thomas Altmann 17.02.2006, 18:15

Zerbst/MZ. - Am Donnerstag hielt der Dessauer Hobbyhistoriker Klaus Fickenscher in der Kreissparkasse Zerbst einen Dia-Vortrag, der die schönsten Sachsenspiegelhandschriften, die vier illustrierten Handschriften aus Heidelberg, Oldenburg, Dresden und Wolfenbüttel zum illustren Thema hatte. Aber erst einmal ging es nach Reppichau. Dort trifft man überall Figuren der Bilderhandschriften. Eike von Repgow lebte etwa zwischen 1180 und 1235. Den Sachsenspiegel hat er in lateinischer Sprache verfasst und später ins "Deutsche" übertragen. In der Vorrede wird dem Grafen Hoyer von Falkenstein gedankt, auf dessen Bitte die Übertragung vorgenommen wurde.

Die älteste deutsche Aufzeichnung des Gewohnheitsrechtes sollte als Spiegel der Rechtspraxis dienen. Der Abfassungsort ist umstritten. Fickenscher nennt Reppichau, Quedlinburg und die Burg Falkenstein als Möglichkeiten. Die Bilderhandschriften sind am Ende des 13. und im 14. Jahrhunderts entstanden. Jede Seite enthält eine Bild- und eine Textspalte, die einander erhellen sollen.

Und schon geht das Licht aus. Auf der Leinwand flimmert Eike von Repgow gemäß der Oldenburger Handschrift. Eine Taube fliegt ihm zu, Symbol des heiligen Geistes und Verweis darauf, dass Recht letzten Endes göttlichen Ursprungs sei oder war. Fickenscher zitiert den Sachsenspiegel: "Gott ist selber Recht, deshalb ist ihm Recht lieb." Und dann verteilt Gott auf der Leinwand auch schon voller Harmonie zwei Schwerter.

Eines bekommt der Papst für das kirchliche und eines der Kaiser für das weltliche Recht. Dabei war, man denke an den Investiturstreit, das Verhältnis keineswegs immer harmonisch. Aber Eike von Repgow hatte wohl in erster Linie Harmonie und Frieden im Sinn. Er habe sich, so Fickenscher, nicht damit abfinden können, dass einer des anderen Eigentum seien solle. Weil der Autor des Sachsenspiegels in der Bibel dafür keine Legitimation gefunden habe, hätte er Unfreiheit als unrechte Gewohnheit betrachtet. Nach sieben mal sieben Jahren sei deshalb jeder Unfreie zu entlassen. Seite um Seite geht es Schlag auf Schlag. Wer habe Königsschutz genossen? Geistliche, Mädchen, Frauen und Juden. Wer habe Recht gesprochen? Schöffen. Wer sei Richter gewesen? Fürst, Graf und Schultheiß, jemand, der die Schuld heißt, der sie benennt.

Unzurechnungsfähigkeit gab es früher auch schon, bevor es Psychologen und Psychiater gab. Gezeigt wird ein Narr. Er sei für seine Vergehen nicht zuständig. Der Vormund habe die Buße zu entrichten. Auch der Ast, der über den Zaun wächst, war damals schon ein Zankapfel. Der Nachbar dürfe ihn ausreißen. Ihm gehöre, was dran sei. Die Illustration des gesittet speisenden Ritters (unten) nutzt Fickenscher, um Vorurteile, die Tisch- und sonstige Manieren des Mittelalters betreffend, zu revidieren. Selbst der Ehebruch geschieht unter einer Decke. Der Referent verweist auf die Fiedel über der braven Szenerie. Was bedeute, dass hier nicht der Ehe-, sondern der Spielmann zu Gange sei. Dabei geht es natürlich um die Rechte der Ehebrecherin. Sie hatte welche. Das Erbrecht findet seine Bilder. Gebärdensprache und Symbole werden benannt. Fickenscher rast durch Land- und Lehensrechte. Die Zuhören rasen hinterher. Und der Heilige Bartholomäus trägt seine Haut zu Markte.

Dass Frauen gemäß des Sachsenspiegels vor Gericht immer eines Fürsprechers bedürften, hätten sie einer gewissen California zu verdanken. Denn die habe höchst ungebührlich ihren Protest vor einem königlichen Gericht bekundet. Der sittsame Sachsenspiegel illustriert auch diese Untat äußerst brav durch einen kuriosen Haarbüschel am Hinterteil. Sie habe den Rock gehoben und ihre "hintere Scham" (Po, Hintern usw.) gezeigt. Wenn das Gewohnheit geworden wäre, wäre es vielleicht auch Recht geworden. Aber heute haben wir ja vor allem gesetztes Recht, positives Recht, gewissermaßen.