Vierschanzentournee Vierschanzentournee: Schlierenzauer überragt
OBerstdorf/MZ. - Im allerletzten Sprung des Abends spiegelt sich der ganze Wettkampf wider, dreieinhalb Stunden verdichtet in fünf Sekunden. Andreas Kofler aus Österreich steht hoch in der Luft, Schneefall begleitet den Flug des Skispringers von der Schattenbergschanze in Oberstdorf, hinzu kommen Rückenluft beim Absprung sowie Aufwind kurz vor der Landung.
Dieses heftige Wechselspiel des Wetters war die Konstante in einem chaotischen, ungewöhnlich langen Auftaktspringen zur 60. Vierschanzentournee. Kofler bricht seinen Satz schließlich ab, landet mit paralleler Skiführung bei 133,5 Metern - zu kurz, Platz zwei. Den Sieg sicherte sich am Freitag sein überragender Teamkollege Gregor Schlierenzauer, der einen Moment vor Kofler noch deutlich beherrschbarere Verhältnisse erlebte, 137 Meter im feinsten Telemark stand, und sich nach 133 Metern im ersten Durchgang als der mit Abstand beste Athlet der ersten Tournee-Station feiern ließ.
Schlierenzauers Vorsprung auf Kofler beträgt 18,1 Punkte, ein komfortables Polster auf dem Weg zu seinem ersten Gesamterfolg bei dieser traditionellen Veranstaltung. Schlierenzauer nutzte damit die Gunst der zweiten Chance.
Hinter den großartigen Österreichern - Thomas Morgenstern belegte noch Rang drei - überzeugten auch die deutschen Teilnehmer: Platz vier für Severin Freund, Rang acht für Stephan Hocke, hinzu kommt Richard Freitag als Zehnter. "Das alles ist eine große Freude für mich, auch wenn ich ein paar Meter liegen gelassen habe, weil ich nicht hoch genug in den Hang gekommen bin", sagte Freund. Am Ende profitierte auch er genauso wie vor allem Schlierenzauer und Freitag von der letztlich einzig möglichen Entscheidung der Jury: Sie brach den um 16.30 Uhr gestarteten ersten Durchgang wegen Unbeherrschbarkeit der Verhältnisse und wegen ungleicher Bedingungen um 17.42 Uhr ab. Sie setzte zwei neue Durchgänge an.
Der abgebrochene Sprungversuch enthielt alles auf einmal: Schneetreiben und Rückenwind, die ungünstigste Wetterkombination für Skispringer. Die vielen weißen Flocken bremsen die Spur, die Luft von hinten drückt die Springer früh nach unten. Es gab Abstürze von Favoriten zu sehen, zum Beispiel von Schlierenzauer und Freitag. Oder großartige Leistungen bei für Sekunden auffrischendem Aufwind, dem Helfer der Schanzenflieger, wie ihn der Japaner Daiko Ito erlebte: 138 Meter, klar Platz eins. Das alles war jedoch Makulatur, als die Jury den Neustart befahl.
Kurz zuvor war Freitag gelandet, sehr früh, ohne Chance auf das Erreichen des zweiten Durchgangs, womit für den Geheimfavoriten die Tournee schon gelaufen wäre. Zwei Springer später berief Renndirektor Walter Hofer das Gremium aus Schanzenrichtern zusammen, die Entscheidung für eine Wiederholung des ersten Durchgangs war schnell gefällt. Das zeigt ein Gespür für die Situation - es handelte sich um den Auftakt einer Tournee, die vier Wettkämpfe in sich vereint. Und gewiss spielte auch eine Rolle, dass mit Freitag und Schlierenzauer zwei Topstars der Szene betroffen waren, was sich negativ auf die Stimmung bei dieser Tournee ausgewirkt hätte. "Hier sind Sportler vorgeführt worden, die Aushängeschilder für unseren Sport sind. Es konnte nur eine Entscheidung geben: Abbruch", sagte der österreichische Cheftrainer Alexander Pointner.
Neben Schlierenzauer nutzte auch Freitag die Möglichkeiten eines zweiten und dritten Sprungs. Platz zehn war mehr als er sich angesichts der Schwierigkeiten, die ihm die Oberstdorfer Schanze an den beiden Sprungtagen im Allgäu bereitete, erwarten konnte. Freitags Analyse: "Das war nicht das, was ich wirklich kann. Mein Sprung war zu eckig, zu grob, da muss mehr Fluss rein." Das deckt sich mit der Erfahrung, die Martin Schmitt am Freitag sammelte: Platz 46, das Aus nach Durchgang eins: "Da lief einfach nichts zusammen", grantelte der Schwarzwälder.