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Vermögensaufbau: Tagesgeld oder Depot? Interview mit Finanzexperte Tobias Gillen

Aktualisiert: 12.06.2023, 13:10
Der Zinsanstieg lässt klassische Anlageformen wie das Tagesgeldkonto wieder in freundlichem Licht erscheinen!
Der Zinsanstieg lässt klassische Anlageformen wie das Tagesgeldkonto wieder in freundlichem Licht erscheinen! Foto: pixabay/4783150

Jahrelang galt das Tagesgeldkonto als Geldverbrennungsmaschine. Nullzinsen und Inflation sorgten dafür, dass sich das Vermögen über die Jahre nicht vermehrte, sondern jährlich an Wert verlor. Daher kehrten immer mehr Menschen den klassischen Formen der Vermögensbildung den Rücken zu. Im Zuge der Digitalisierung hat nun jeder Erwachsene über das Internet Zugang zum Börsenparkett, um ein passives Einkommen zu erwirtschaften oder ein Vermögen für das Alter aufzubauen.

Derzeit drehen die Zentralbanken wie die EZB (Europäische Zentralbank) und vor allem die US-amerikanische FED (Federal Reserve) kräftig an der Zinsschraube. Daher fragen wir den Finanzexperten Tobias Gillen, wie es Verbraucher am besten anstellen, von diesem einschneidenden Richtungswechsel zu profitieren. Dabei geht es vor allem darum, wie sich die besten Zinsen für das Tagesgeldkonto ermitteln lassen und wie es gelingt, sich profitabel am Wertpapierhandel zu beteiligen.

MZ: Guten Tag, Herr Gillen! Ihr Team bei FINANZENTDECKER hat es sich auf die Fahne geschrieben, Verbrauchern Finanzthemen näherzubringen, mit dem Ziel, dass sie ihre finanzielle Zukunft selbst in die Hand nehmen können. Wie sieht ein guter Finanzplan aus?

Tobias Gillen: Zunächst einmal ist das sehr individuell. Eine Familie hat andere finanzielle Bedürfnisse und Ziele als ein Single. Ein alleinerziehendes Elternteil mit Teilzeitjob hat andere Möglichkeiten als ein kinderloses Ehepaar im oberen Management eines Großkonzerns. Daher lässt sich das nicht verallgemeinern. Im Grunde lässt es sich aber auf folgende zwei Säulen herunterbrechen: Ein Notgroschen für die Absicherung und ein gut diversifiziertes Anlageportfolio, mit dem sich Rendite oberhalb der Inflation erwirtschaften lässt.

MZ: Beginnen wir mit dem Notgroschen. Wie sollte der aufgebaut sein?

Tobias Gillen: Der Notgroschen ist die Absicherung für alles, was unerwartet dazwischen kommt. Klassische Beispiele wären eine Autoreparatur oder ein Umzug. Wir empfehlen einen Notgroschen von drei bis sechs Monatsgehältern aufzubauen. Das geht natürlich nicht von heute auf morgen, aber wenn das geschafft ist, schläft es sich definitiv besser. Dieses Ersparte sollte dann möglichst sicher und kurzfristig erreichbar sein. Dafür eignet sich durch die Zinserhöhungen der Zentralbanken in den letzten Monaten ein Tagesgeldkonto, das Zinsen auf das Ersparte liefert.

MZ: Christine Lagarde, die Chefin der EZB, stellt in naher Zukunft weitere Zinserhöhungen in Aussicht. Welche Auswirkungen haben diese auf die Erträge eines Tagesgeldkontos?

Tobias Gillen: Die steigenden Leitzinsen machen das Tagesgeldkonto wieder interessant, da dadurch auch die Zinsen steigen, die wir Verbraucher von Banken angeboten bekommen, damit wir unser Geld bei ihnen lagern. Je höher der Leitzins steigt, desto höher steigen auch die Zinsen auf Tagesgeld und Festgeld. Die steigenden Zinsen machen das Geschäft mit Kundeneinlagen für Banken wieder lukrativer. Heute sehen wir, dass sich wieder mehr um Privatkunden bemüht wird, was ja eine ganze Zeit lang anders war, als es Null- oder sogar Negativzinsen gab.

MZ: Worauf sollte man bei der Auswahl von Tagesgeldkonten achten?

Tobias Gillen: Ganz wichtig zu verstehen ist, dass selbst die hohen Tagesgeldzinsen nicht ausreichen, um die Inflation abzufangen. Beispielsweise hat die VW Bank kürzlich die Tagesgeldzinsen für Neukunden auf über 3 Prozent für einen begrenzten Zeitraum erhöht. Wenn die Inflation bei 6 Prozent liegt, bedeutet das eine Realrendite von -3 Prozent. Für den Notgroschen ist das zweitrangig, weil wir damit in erster Linie eine Absicherung und keine Rendite erzielen wollen. Wir brauchen aber noch die andere Säule: Die Geldanlage, mit einer höheren Rendite als die Inflation.

Tagesgeld oder Depot
Tagesgeld oder Depot
Infografik

MZ: Dann wird für den Verbraucher also ein Depot interessant?

Tobias Gillen: Genau. Wir empfehlen zunächst die angesprochene Cash-Reserve aufzubauen und sich dann das nötige Fachwissen anzueignen, um Aktien und ETFs zu verstehen. Uns ist aber immer wichtig zu vermitteln, dass das alles eigentlich gar nicht so kompliziert ist, wie es im ersten Moment scheint. Sobald man die Basics verstanden hat, kann man starten. Am besten zunächst mit ETFs (Exchange Traded Funds) auf große Märkte wie den MSCI World, da diese diversifizierter und damit weniger risikoreich sind. ETFs bilden einen kompletten Index ab, werden automatisch gemanagt und sind besonders günstig. Die durchschnittliche Rendite am breiten Aktienmarkt liegt langfristig bei etwa 8 Prozent. Damit würde man die aktuelle Inflation also bereits schlagen.

MZ: Welche Schritte müssen Verbraucher gehen, die ein Depot eröffnen möchten?

Tobias Gillen: Die wichtigste Entscheidung ist die Wahl des richtigen Brokers. Broker ist dabei eigentlich nur ein wichtig klingender Begriff für eine Bank, die ihren Kunden ein Depot anbietet. Derzeit ist es möglich, mit drei verschiedenen Typen von Brokern zusammenzuarbeiten. Zum einen bietet sich die eigene Hausbank vor Ort an, die Filialen unterhält und Kunden persönlich berät. Im Gegenzug erhebt sie höhere Gebühren, da das Netz an Filialen und Mitarbeitern ja auch unterhalten werden muss.

Eine Direkt- oder Onlinebank bietet ihre Dienste ausschließlich per Internet an. Dadurch werden Kosten eingespart, die sich durch geringe Gebühren bemerkbar machen. Die günstigsten Anbieter im Wertpapierhandel sind in der Regel Neobroker. Diese konzentrieren sich ausschließlich auf das Depotgeschäft, bieten weder Girokonten noch Tagesgeldkonten an und unterhalten keine Filialen.

MZ: Wie viel Zeit wird benötigt, um eine Depoteröffnung zu erledigen?

Tobias Gillen: Eine Depoteröffnung per Postident-Verfahren kann einige Tage in Anspruch nehmen. Mit dem praktischeren Video-Ident-Verfahren ist die Angelegenheit innerhalb von 15 Minuten von Zuhause aus erledigt. Man braucht nur eine Webcam am Laptop, Tablet oder Smartphone und kann loslegen.

MZ: Herr Gillen, wir bedanken uns für das Gespräch.