USA USA: Der Naturpark Mount St. Helens kommt nicht zur Ruhe

Castle Rock/dpa. - Für Touristen bleibt der Mount St. Helens jedochein faszinierender Ort - auch wenn in Zeiten einer erhöhten Aktivitätnicht jede Stelle an seinem Fuße von Besuchern erreicht werden kann.
Nur langsam fasst am Mount St. Helens die Natur wieder Fuß. Um dieExplosion des Berggipfels mit ihren Folgen zu dokumentieren, wurde1982 das Mount St. Helens National Volcanic Monument geschaffen. DerPark erstreckt sich auf einer Fläche von 44 500 Hektar und schließtvom Vulkan verwüstete Gebiete ebenso wie unversehrte Wälder ein.
Als Einstimmung auf die Region bietet sich ein Besuch des«CineDome Theaters» in Castle Rock an. Das Kino liegt unmittelbar ander Ausfahrt 49 des Interstate-Highway 5, der Seattle und Portlandverbindet. Vor den Augen der Zuschauer fliegt auf derüberdimensionalen Leinwand die Spitze des Mount St. Helens in dieLuft. Gewaltige Schlamm- und Gerölllawinen stürzen ins Tal, riesigeAschewolken steigen auf. Alles Leben im näheren Umkreis des Bergeswird im Film binnen Minuten vernichtet. Zu den Bildern dieserKatastrophe dröhnt ohrenbetäubender Lärm aus den Lautsprechern.
Es sei vor 25 Jahren ein schöner Sonntagmorgen gewesen, ein Tagmit fantastischen Aussichten, erinnert sich Roald Reitan, der anjenem 18. Mai 1980 zum Fischen unterwegs war. «Ich stand mitten imFluss und warf meine Angel nach Lachsen aus, als plötzlich einegigantische Schlamm- und Gerölllawine auf mich zuraste.» Genau um8.32 Uhr war der Mount St. Helens ausgebrochen. Nur durch glücklicheUmstände überlebte Reitan - schwer verletzt.
Wissenschaftler haben festgestellt, dass ein Erdbeben der Stärke 5einen der größten jemals registrierten Erdrutsche ausgelöst hatte.Vom schneebedeckten Gipfel des Mount St. Helens stürzten 396 Meterder Bergspitze in das Toutle River Valley. Die Wucht der Erdmassenlegte im Tal glühend heiße Gesteinsschichten frei, die beimZusammentreffen mit der kalten Luft explodierten. Neun Stunden langschoss eine gewaltige Staub- und Aschesäule bis zu 25 Kilometer hochin die Erdatmosphäre und erzeugte einen riesigen Rauchpilz.
Bis weit über die Grenzen des Bundesstaates Washington hinausverdunkelte sich der Himmel, und innerhalb weniger Minutenverwandelte der niedergehende Ascheregen das frühlingshafte Grün derLandschaft in ein tristes Grau. Im Umkreis von zehn Kilometern wardie Ascheschicht teilweise mehrere Meter dick, noch in 20 KilometernEntfernung kamen Menschen ums Leben. Insgesamt gab es 57 Todesopfer.
Es wären wohl tausende Menschenleben zu beklagen gewesen, hättenVulkanologen nicht rechtzeitig gewarnt. Die Wissenschaftler wussten,dass ein Ausbruch bevorstand. Tausende von kleineren Beben kündetendas drohende Unheil an. Dass allerdings eine gigantische Explosionden einst als amerikanischen «Fuji» gepriesenen Berg in einendüsteren Höllenschlund verwandeln würde, ahnten sie nicht.
Auch der 83-jährige Harry Truman, der seit 1938 eine private Lodgeam Spirit Lake führte, unterschätzte die drohende Gefahr. «Niemals,niemals werde ich betroffen sein», sagte er den Rangern undwidersetzte sich einer von den Behörden angeordneten Evakuierung. Essei völlig unmöglich, dass der Berg so viel Material ausspuckt. EinIrrtum, den Truman mit seinem Leben bezahlte. Eine 13 Meter hoheGerölllawine begrub ihn zusammen mit seiner Lodge.
Auch die nur eine Meile entfernte «Spirit Lake Lodge» fiel derNaturkatastrophe zum Opfer. «Als uns damals die Ranger zum Verlassenunseres Gästehauses aufforderten, akzeptierten wir das, wenn auchschweren Herzens», erinnert sich Miriam Smith. Seit mehr als zehnJahren hatte sie die «Spirit Lake Lodge» zu diesem Zeitpunktbetrieben, und die Geschäfte liefen gut.
«Der Mount St. Helens ist immer noch aktiv», gibt TourismusmanagerMike Moss zu bedenken. Im vergangenen Jahr machte der «RauchendeBerg», wie ihn die Indianer schon immer nannten, wieder auf sichaufmerksam. Tagelang spuckte er Gas und Asche. «Heute melden digitaleSeismographen kleinste Erschütterungen und erfassen Verschiebungender Erdkruste im Sekundentakt und zentimetergenau», erklärt Moss.
«Mit einer Genehmigung des Nationalparks können Mutige den Vulkansogar erklettern», sagt Moss. Rund 20 000 Abenteurer nahmen jedesJahr von Mai bis Oktober die Mühe des anstrengenden, aber technischeinfachen Aufstiegs auf sich. Sie wurden mit einem unvergesslichenBlick in den Krater belohnt. Das ist derzeit nicht möglich: «Je höherder Alarm-Level, um so größer der Radius um den Krater, der gesperrtwird. Bei einem Besuch muss man derzeit flexibel sein», sagt SandraSziegoleit, Sprecherin von Washington State Tourism in Deutschland.
Die meisten der jährlich rund zwei Millionen Besucher des MountSt. Helens fahren mit dem Auto den gut ausgebauten Spirit LakeMemorial Highway entlang. Er führt rund 37 Kilometer durch das vonder Druckwelle erfasste Gebiet. Entlang des Weges können sowohl dienatürliche Regeneration als auch der durch die Aufforstungsmaßnahmenwiederhergestellte Waldbestand beobachtet werden. In mühsamerHandarbeit wurden 18,7 Millionen Douglas- und Edeltannen gepflanzt.
«Um den zarten Setzlingen normale Überlebenschancen und Wachstumzu ermöglichen, musste die Asche zur Seite geschoben werden», erklärtMoss. Durch die Wiederaufforstung sind auch die Tiere zurückgekehrt.Mit etwas Glück können die Touristen sogar Elche beobachten. «Diedichte Vegetation bietet den Wapitis einen geschützten Lebensraum,und auch der Fischbestand in den Flüssen hat sich sehr gut erholt.»
Zahlreiche Besucherzentren und Informationstafeln entlang desSpirit Lake Memorial Highways erzählen, was im Mai 1980 am Mount St.Helens passiert ist. Im Forest Learning Center zum Beispiel erfahrendie Besucher, dass nach dem Vulkanausbruch rund zwei MillionenKubikmeter Holz von den durch die Druckwelle umgeknickten Baumriesengerettet werden konnten - genug für den Bau von 85 000 Holzhäusern.
Ganz am Ende des Highways befindet sich das 1997 eröffneteJohnston Ridge Observatorium, das den Namen eines beim Ausbruch umsLeben gekommenen Vulkanologen trägt. Aus dieser Perspektive könnenBesucher direkt durch den seitwärts geöffneten Kraterrand auf denVulkanstumpf schauen. Zu sehen sind mit dem Castle Lake und demColdwater Lake auch zwei neu entstandene Seen, auf denen Kanus undElektroboote, aber keine Motorboote zugelassen sind.
«Leider gibt es keine Plätze für Camper», sagt Mark Smith, der inToutle eine kleine Lodge betreibt. Überhaupt gebe es zu wenigÜbernachtungsmöglichkeiten für Touristen im Park. Smith würde denHighway gerne über das bisherige Ende hinaus bis zum AussichtspunktWindy Ridge verlängert sehen: «Vom Johnston Observatorium wären esnur etwas mehr als sieben Meilen, dann könnten die Besucher beideAusblicke auf den Krater und den Dom genießen.»
Bisher verhindern aber die strengen Bestimmungen zum Schutz derNatur den weiteren Ausbau der Trasse. Deshalb müssen Besucher, diezum Windy Ridge Aussichtspunkt wollen, den Mount St. Helens in einemweiten Bogen umfahren. Doch die Mühe lohnt sich. Denn dielandschaftlich schönste Tour verläuft entlang des Lewis River auf derStraße 503. Unterwegs empfiehlt sich ein Abstecher zur berühmten«Affenhöhle». Kurz hinter Cougar zweigt eine Straße zu der vor rund 1900 Jahren entstandenen Höhle ab. Während Lava an der Oberflächeabkühlte und erstarrte, floss das glühende Gestein im Inneren weiterund hinterließ einen über vier Kilometer langen Tunnel. Lohnenswertist auch eine Wanderung zum Lahar Aussichtspunkt.
Nach weiteren anderthalb Stunden Autofahrt erreichen Besucher dievom Zentrum der Katastrophe nur sechs Kilometer entfernte WindyRidge, eine gespenstische Mondlandschaft: An die Stelle von mitdichten Wäldern überzogenen Bergen sind kahle Hügel getreten. Von denmächtigen Nadelbäumen sind nur noch zersplitterte Baumstümpfe zusehen. «Das war das Zentrum der Zerstörung», sagt Smith. Durch dieSchuttmassen ist der Wasserspiegel des Spirit Lake um 70 Metergestiegen.
Noch heute, 25 Jahre nach der Katastrophe, ist fast ein Drittelder Oberfläche des Sees mit einem dichten Teppich von Baumstämmenbedeckt. Sie wurden von der Druckwelle hineingeschleudert. Am Tag vordem Ausbruch war Smith auf dem Gipfel, und eigentlich wollte er anjenem 18. Mai wieder auf den Mount St. Helens steigen. «Es wäre dersichere Tod gewesen.»
