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Unternehmen mit Pferdefuß

Von Ute Otto 14.08.2006, 14:48

Gräfenhainichen/MZ. - Und unaufgefordert hebt Lyra den Vorderfuß, als die 24-Jährige zum Hornmesser greift. Auch das Pflegeprogramm kennen die Tiere offenbar aus dem Effeff.

Romy Müller zeigt, wie sie die Hufe beschneidet. Wie viel man von der Hornschicht wegnehmen kann, in welchem Winkel das Messer angesetzt werden muss. Der Huf nämlich ist Frau Müllers Passion - sie ist Hufheilpraktikerin.

Gelernte Tierwirtin

Der Veterinär Dr. Friedrich Petzold hat die junge Tierwirtin mit Schwerpunkt Rinderhaltung auf das Unternehmen mit dem Pferdefuß gebracht. Im Rinderstall in Radis hat Romy Müller, die mit Pferden aufgewachsen ist, gelernt und sich dabei auch für die Klauenbehandlung lahmer Kühe interessiert. Der Agrarbetrieb konnte der jungen Tierwirtin nach Abschluss der Lehre jedoch keine Perspektive bieten.

Von Dr. Petzold bekam sie Material über das Institut für Hufbehandlung und ganzheitliche Pferdebehandlung Dr. Hiltrud Strasser in Tübingen. Der Ansatz, dass auch beim Tier die Gesundheit bei den Füßen beginnt, begeisterte sie. Aber woher 10 000 Euro für die Ausbildung nehmen? Romy Müller hatte großes Glück. Dr. Strasser, die wohl bei der Bewerberin Wissbegier, Fleiß, Tierliebe und Herzblut erkannt hatte, beschäftigte Romy Müller für zwei Jahre der Lehre am Institut. Und die zielstrebige Frau lernte dort mit allen Sinnen.

Tiere wie zur Kur

Seit Frühjahr 2005 ist Romy Müller selbständig. Das Anwesen in Strohwalde, auf dem sie mit ihrem Partner lebt und eine Vollblutzucht betreibt, bietet nicht nur genug Stallungen für die eigenen elf Pferde, sondern auch für Patienten. Drei sind es derzeit. "Denn wenn ich ein krankes Tier behandele, möchte ich es von Anfang bis zum Ende bei mir haben", sagt sie. Weil nämlich, wie sie erklärt, bei der ganzheitlichen Behandlung, die eben am Huf beginnt, Stoffwechselvorgänge ausgelöst werden und Krankheiten zutage treten können, die das Tier schon lange mit sich schleppte.

Ein Vierteljahr ist die Mindestaufenthaltsdauer. Und die Tiere dürfen sich wie zur Kur fühlen, sie werden bewegt, bekommen einen geräumigen Unterstand, gehen baden. Dazu werden sie von Romy Müller oder ihrer Angestellten zu einem Wasserloch am Rande von Strohwalde geführt. "Man sieht es ihnen richtig an, wie es ihnen gut tut, dass die Beine gekühlt und entlastet werden."

Ständige Fortbildung

Deutschlandweit hat Romy Müller etwa 50 Kollegen. In Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen ist sie die Einzige ihres Berufsstandes mit gültiger Lizenz - die übrigens in zweijährigem Abstand durch den Nachweis von Fortbildungen erneuert werden muss. Ihr Arbeitsgebiet ist aber hauptsächlich Sachsen sowie Brandenburg. Bis in die Lausitz hinein hat Romy Müller Patienten. Hierzulande weniger, obwohl es in dieser Region an Pferden nun wahrlich nicht mangelt. "Die Methode wird hier noch sehr belächelt - wohl weil es so einfach klingt", sagt sie. Die größten Gegenspieler - nicht zuletzt stellt sie ja auch eine Konkurrenz dar - seien die Hufschmiede.

Denn nach dem Strasser-Konzept brauchen die Pferde gar keine Eisen: "Der Hufbeschlag ist im Mittelalter aufgekommen, als die Pferde zunehmend in Ställen gehalten wurden, wo sie immer in Mist und Jauche standen", erklärt die Heilpraktikerin. Das Ammoniak der Fäkalien aber greife die Hornstruktur an, die Hufe verformen sich. Um auf verschiedenen Belägen zu gehen, brauche das Pferd keine Eisen. "Bei den Menschen sind auch die Barfußläufer die gesündesten", so Frau Müllers Argument. Den "Plattfuß" habe doch erst das viel zu weiche Schuhwerk mit sich gebracht. "Der Hufmechanismus des Pferdes ist ein natürlicher Stoßdämpfer." Er funktioniere aber nur, wenn er intakt ist. Und: "Die Füße sind bei Pferden das zweite Herz", erklärt die Heilpraktikerin weiter. "Schließlich muss das Blut die langen Beine wieder hinauf. Und der Hufmechanismus ist die Pumpe dafür."

Durch den Beschlag aber werde die Hufbewegung eingeschränkt. Sehnenprobleme- und Stoffwechselkrankheiten seien eine häufige Folge. Zehn Monate etwa brauche man, den Pferden das Eisen abzugewöhnen. "Die beste Zeit dafür ist im Winter, wenn die Erde feucht ist." Das Ausschneiden der Hufe bei einem gesunden Tier sei aller sechs bis acht Wochen fällig.

Auch mit Kühen beschäftigt sich Romy Müller noch. In einem Agrarbetrieb der Region ist sie regelmäßig zur Klauenpflege. Und trifft auch immer noch Dr. Petzold: "Wir streiten uns immer - er meint, ich schneide zu viel von dem Huf weg, ich meine er schneidet zu wenig weg." Aber der Schul-Veterinärmediziner akzeptiere, was sie macht. Viel mehr Kontakte zu Tierärzten und Hufschmieden wünsche sie sich, sagt Romy Müller. "Man kann doch nur voneinander lernen".

Gesetz schlägt Wellen

Dass sie sich an Petzolds Bruder Ulrich Petzold in dessen Eigenschaft als CDU-Bundestagsabgeordneter gewandt hat, hängt mit einem neuen Gesetz zusammen, wonach Hufheilpraktiker nur noch die Lizenz erhalten, wenn sie eine Ausbildung als Hufschmied nachweisen können. "Wir empfinden das als Einschränkung der freien Berufsausübung", spricht sie für ihre Kollegen. Da Romy Müller ihre Lizenz vor dem Erlass des Gesetzes erworben hat, genießt sie Bestandsschutz. Noch jedenfalls. "Wenn es anders kommt - wandere ich aus", sagt sie ein bisschen trotzig. Dabei sind ihre Zukunftspläne für Strohwalde geschmiedet: Die zweite Hufklinik Deutschlands möchte sie hier eröffnen.

Für Oktober bzw. Januar plant Romy Müller je einen Drei-Tagekurs im Hufbeschneiden bzw. für Dentalpraxis bei Pferden. Anfragen per Mail unter [email protected]