1. MZ.de
  2. >
  3. Varia
  4. >
  5. Tino Weber: Tino Weber: Die Flucht eines Kameraden gefährdete die Karriere

Tino Weber Tino Weber: Die Flucht eines Kameraden gefährdete die Karriere

Von RÜDIGER FRITZ 23.07.2009, 20:20

HALLE/MZ. - "Der Gedanke hat mich schon eine Weile beschäftigt, was bei einem Comeback weit jenseits der 30 Jahre noch möglich ist", sagt er. "Boxer Henry Maske hat mit seinem Kampf gegen Virgil Hill gezeigt, dass mit Willen und Training selbst nach zehn Jahren Pause viel erreichbar ist. Ein gewisser Reiz war für mich da."

Vor zwölf Jahren hat Tino Weber in Leipzig seine Karriere beendet. Noch heute lebt der 39-Jährige in der Messestadt, arbeitet dort als freiberuflicher Vermögensberater. Er ist ein Mann der Zahlen. Auch deshalb hat es das besagte Comeback nie gegeben. Denn Weber hatte am Ende für sich eine einfache Rechnung aufgemacht: "Als Schwimmer war ich 22-mal für jeweils drei Wochen im Höhentrainingslager im bulgarischen Belmeken - zusammen genommen fast einundeinviertel Jahr. Damit sollte es genug sein."

So bleibt Tino Weber der Rückblick auf eine Karriere, die kurz vor der Wende stark durch die große Politik geprägt wurde. Ende August 1989, nur wenige Wochen vor der Maueröffnung, startete er mit der Nationalmannschaft der DDR bei der Europameisterschaft in Bonn. Obwohl die Proteste gegen das politische System machtvoll zunahmen, wurde das Schwimm-Team von den Funktionären des Deutschen Turn- und Sportbundes (DTSB) mit alten Parolen zugedröhnt. "In Bonn hielt kurz vor den Wettkämpfen der DTSB-Vizepräsident Thomas Köhler eine Brandrede von anderthalb Stunden", erinnert sich Weber. "Darin hat er als das wichtigste Ziel ausgegeben, die Sportler der Bundesrepublik zu besiegen."

Der Hallenser gewann damals Bronze über 200 Meter Rücken und hatte damit "sogar die Vorgabe erfüllt, ohne dass ich einen Gedanken daran überhaupt verschwendet hätte". Denn direkt hinter Weber ging der vierte Rang an Frank Hoffmeister, einen westdeutschen Schwimmer, der Jahre zuvor aus der DDR geflüchtet war. Weber weiß: Ein anderes Ergebnis hätte für ihn das unfreiwillige Ende der Schwimm-Laufbahn bedeuten können. Denn schon früher war er mit dem DDR-Regime unliebsam in Kontakt gekommen.

Im Höhentrainingslager im Frühjahr 1988 in Mexiko, ein halbes Jahr vor den Olympischen Spielen in Seoul, wurde Tino Weber mitten in der Nacht geweckt und zu einem Gespräch mit den Funktionären beordert. Sein hallescher Vereinskamerad Steffen Ließ, der eine Woche nach ihm in Mexiko eintreffen sollte, hatte sich beim Zwischenstopp auf dem Flughafen in Amsterdam abgesetzt und war in den Westen, in die Schweiz, geflüchtet. "Mir wurde zum Vorwurf gemacht, dass ich von den Absichten von Steffen Ließ gewusst haben müsste", erzählt Tino Weber. "Totaler Schwachsinn. Selbst meinen Hinweis, dass ich Steffen neun Monate nicht gesehen hatte, ließ man nicht gelten. Wegen der maroden Schwimmhalle in Halle hatte ich in Dresden trainiert und Steffen in Potsdam." Weber bekam dennoch die Quittung: Obwohl er Meisterschafts-Zweiter war, wurde er nicht für Olympia berücksichtigt. Und er durfte auch nicht mit zum B-Länderkampf nach Italien fahren.

Sportlern der heutigen Generation mögen solche Beispiele unfassbar erscheinen. "Aber das war das Spannungsfeld, in dem wir uns damals zu bewegen hatten", sagt Tino Weber.