Testfahrt als Rollstuhlfahrer Testfahrt als Rollstuhlfahrer: Schattenseiten gut erkennbar
Wolfen/MZ. - Im Wolfener Ordnungsamt könnten demnächst Installateure anrücken, um eine Klingel zu installieren. Oberbürgermeister Lutz Born (SPD) sieht darin jedenfalls eine sehr gute Möglichkeit, um Behinderten, älteren Menschen und auch Besuchern mit Kinderwagen den Gang ins Amt zu erleichtern. Damit könnten sich diese Besucher an den drei Stufen vor der Eingangstür des Amtes zumindest problemlos bemerkbar machen und Hilfe anfordern. Born hatte gestern höchstpersönlich Gelegenheit, die Defizite für Behinderte zu "erfahren".
Denn das Stadtoberhaupt hatte auf Einladung der Sonnenlandschule im Rollstuhl Platz genommen und das Areal rund um die Leipziger Straße als Behinderter getestet. Und dabei stand Born vor dem städtischen Einwohnermelde- und Ordnungsamt zunächst sprichwörtlich im Regen. Zwar nahm er Dank der Hilfe seines Fahrer noch problemlos die schräge Zufahrt zum Parkplatz vor dem Amt. Bei selbigen stand er dann allerdings vor Treppenstufen, die für Rollstuhlfahrer und Leute mit Kinderwagen praktisch unüberwindbare Barrieren sind. Besagter Dienstwagenfahrer war es auch, der schnell für einen direkten Draht zu Amtsmitarbeiterin Ingrid Proksch sorgte. Doch was wäre gewesen, wenn Born allein gewesen wäre? Dann hätte er im Regen stehend wohl warten müssen, bis zufällig jemand vorbei kommt und im Amt Bescheid sagt. Oder? "Wir machen auch Hausbesuche", versicherte Ingrid Proksch eilends. So sei es üblich, dass Vertreter des Einwohneramtes in Pflegeheime gingen, um dort die Formalitäten zu erledigen. Das sei bei Rollstuhlfahrern ebenso denkbar wie die Möglichkeit, dass diese sich vorher telefonisch beim Amt anmelden. "Und ein Telefon hat doch heute jeder", nickte Born zustimmend und warb um Verständnis, dass es keine behindertengerechte Rampe gebe. Die koste schließlich 50 000 Mark. Zudem sei die Leipziger Straße nur als Übergangslösung gedacht, bis die Rathaus-Frage endgültig geklärt ist.
Allerdings wird darüber schon seit den ersten Jahren nach der Wende debattiert... Ungeachtet der Frage, ob sich in dieser Zeit eine Rampe nicht längst rentiert hätte, erinnern Rollstuhlfahrer an dieser Stelle stets an ihren Grundanspruch: Sie wollen weder Vorzüge noch Sonderrechte eingeräumt bekommen, sie wollen lediglich uneingeschränkt am öffentlichen Leben teilnehmen. Das Beispiel Ordnungs-/Meldeamt steht insofern nur exemplarisch. Born erinnerte gestern daran, dass es auch am Verwaltungsstandort in der Reudener Straße kaum besser aussehe. Auch dort wolle er sich nun für eine Klingel stark machen. Ämter würden jedoch nur recht selten aufgesucht, meinte die Chefin der Sonnenlandschule, Sieglinde Böttcher, maßgebliche Initiatorin der gestrigen Testfahrt. Die meisten Barrieren gebe es in täglichen Leben, beim Einkaufen, in der Freizeit. "Wolfen hat einige Schritte gemacht. Wir wollen aber auch zeigen, dass es noch einiges zu tun gibt in der Stadt." In der streckenweise bereits sanierten Leipziger Straße werden Licht und Schatten gut deutlich. Im erneuerten Teil sind viele Geschäfte von Behinderten gut erreichbar, Bordsteinkanten an vielen Stellen abgesenkt. Doch gleich in den Nebenstraßen gibt es noch einiges zu tun.
Rollstuhlfahrer Born wäre in der Robert-Koch-Straße beinahe in einer Asphaltrille hängen geblieben und gestürzt... Borns Bilanz nach der Testfahrt: Mitunter seien es Kleinigkeiten, die mit wenig Aufwand zu beheben sind - dieser Appell richte sich auch an die Geschäftsleute. Grundsätzlich sei es immer gut, den Alltag mal aus der Sicht der Behinderten zu erleben. Zudem will Born mit den Betroffenen jetzt das Gespräch suchen, um zu erkunden, wo die im Etat für solche Zwecke geplanten 30 000 Mark am sinnvollsten angelegt sind.