Tatort: Tempelräuber
Hamburg/dpa. - Ein Priester wird ermordet - und das ausgerechnet im erzkatholischen Münster. «In dieser Stadt zählt ein toter Priester so viel wie zwei tote Bürgermeister oder drei tote Polizisten», sagt Staatsanwältin Klemm (Mechthild Großmann) gleich zu Beginn mahnend.
Und sie macht damit klar: Hauptkommissar Thiel (Axel Prahl) und Rechtsmediziner Professor Boerne (Jan Josef Liefers) müssen sich gehörig ins Zeug legen, um den Fall schnell aufzuklären. Doch das ist gar nicht so einfach, denn Boerne ist mit zwei eingegipsten Armen nur bedingt einsatzfähig - ein Umstand, dem der 16. Münsteraner ARD-«Tatort» (Sonntag, 20.15 Uhr) viel Witz und Drive verdankt.
Ein Witz, der stark mit dem ernsten Thema des Krimis kontrastiert. Es geht um das ganz Private im Leben von katholischen Priestern. Es geht um Liebe, Familie und auch Sex. Ist das Zölibat, so fragt Drehbuchautor Magnus Vattrodt mit seinem «Tatort: Tempelräuber», noch zeitgemäß, können Priester ohne familiären Rückhalt, ohne die (auch körperliche) Liebe eines anderen Menschen überhaupt leben? Und er beantwortet diese Frage gleich selbst: Ohne Verwerfungen und Leid ist das kaum vorstellbar. Gleich zwei heimliche Priesterkinder - in Kirchenkreisen auch «Tempelräuber» genannt, weil sie der Kirche die Geistlichen entziehen - spielen eine tragende Rolle und werfen Fragen auf nach Moral, Bigotterie und Menschsein.
Der Fall ist - typisch für Thiel/Boerne-Krimis - verzwickt und ungewöhnlich. Denn der getötete Kirchenmann war nicht irgendein Pfarrer, sondern der konservative Regens Mühlenberg, Leiter des Priesterseminars. Die Tatwaffe ist auch nicht alltäglich: Ausgerechnet das Taxi von Thiels Vater (Claus D. Clausnitzer) wird geklaut und zum tödlichen Mordwerkzeug. Vor den Augen des zufällig anwesenden Boerne überfährt der Täter Mühlenberg in der Innenstadt; als der Rechtsmediziner zu Hilfe eilt, setzt das Taxi zurück und überfährt den Priester noch einmal, samt Boerne.
Den hält es nicht lange im Krankenhaus: Mit zwei dick bandagierten Händen und Unterarmen hängt er sich in den Fall, sehr zum Leidwesen seiner Assistentin Haller alias «Alberich» (ChrisTine Urspruch) - denn er kann sich so nicht einmal ein Brot selbst schmieren, geschweige denn Leichen sezieren. Nachbar Thiel soll derweil seinen Krankenpfleger - oder besser: sein Mädchen für alles - spielen, wozu er naturgemäß keine Lust hat. Da trifft es sich, dass Thiel just im Haus des Priesterseminar-Vizes Wolff (sehr gut Ulrich Noethen zwischen Verzweiflung und Hoffnung) auf eine Nachbarsfrau stößt, die dringend einen Job als Haushaltshilfe sucht.
Damit ist das kleine Set an handelnden Figuren auch fast schon komplett. Die Story von Regisseur und «Tatort»-Debütant Matthias Tiefenbacher entwickelt sich in diesem übersichtlichen Personenkreis, macht aber etliche Drehungen und Wendungen.
Grandios geben wieder einmal Prahl und Liefers das ungleiche Duo zweier Männer, die außer dem Job wenig gemein haben, aber dennoch irgendwie aneinanderhängen - auch wenn sie sich wunderbar aneinander reiben, etwa wenn Kommissar Thiel sichtlich amüsiert den lädierten Pathologen mustert und dieser ihn angiftet: «Was ist das in Ihrem Gesicht - ein Lächeln oder hatten sie einen Schlaganfall?»
Für harte Krimiprofis dürfte der Münsteraner «Tatort» wieder einmal zu zufällig, zu unwahrscheinlich, zu komisch sein - der Fall ist arg eng mit den persönlichen Geschichten der Hauptdarsteller verwoben. Für Fans von Thiel, Boerne, «Alberich» und Klemm bietet er aber eineinhalb Stunden spannende und vor allem amüsante Unterhaltung - mit lakonischem Witz und brummigen Kommentaren.