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Stephen King Stephen King: Die Bruderschaft der Bewacher

Von Steffen Könau 05.06.2002, 08:52

Halle/MZ. - Von fern betrachtet liegt der Meistergenau im Plan. 500 Seiten umfasst sein neuesWerk, es spielt in einem kleinen Provinzkaff,die Ausstattung ist angemessen spartanisch,das Darstellerpersonal leicht zu überblicken:Die Beamten einer Polizeistation im ländlichenPennsylvania, dazu ein verfallener Schuppen,ein altes Auto und allerlei Ungereimtheiten.

Ein Kammerspiel also, ein King wiederum ohneKrawumm. Zusehends häufiger hatte der Horror-Königvergangener Tage sich zuletzt entfernt vomblutigen Handwerk früherer Zeiten, als seineBücher schonmal splatterten und vor Mordlustkeuchten. Statt mit exzessiver Gewalt wienoch im Frühwerk "Carrie" spielte "Das Mädchen"mit dem Psycho-Thrill des Unbekannten, stattauf massenhaftes Sterben wie in seiner Weltuntergangsoper"The Stand" konzentrierte sich Stephen Kingin "The Green Mile" auf den angekündigtenTod eines einzigen Menschen. Auch der 30. Romanim 29. Karrierejahr, schlicht "Der Buick"genannt, sucht die Spannung nun allein imUngewissen.

An einer abgelegenen Tankstelle mitten imländlichen Pennsylvania taucht eines Tagesein Mann in einem uralten Auto Marke BuickRoadmaster auf. Unter den Augen des Tankwartesverschwindet der Fahrer anschließend RichtungKlo - und er kehrt nie mehr wieder. Zurückbleibt das riesige Auto, von dem sich baldherausstellt, dass es ein so ganz normalerWagen nicht ist: Es hat keinen Motor, keinrichtiges Lenkrad, alle Instrumente sind nuraufgemalt, die Reifen aber spucken eingeklemmteSteine wie von selbst wieder aus.

Ein Fall für Police-Officer Sandy Dearbornund das örtliche Revier. Das herrenlose Schmuckstückwird beschlagnahmt, abgeschleppt und in einerPolizei-Garage untergestellt. Dort beginntes bald, Blitze zu schlagen und Dinge auszuspeien- seltsame Tiere, die bald wieder zerfallen,und Pflanzen, die aussehen wie schrecklicheMissgeburten. Für die Polizisten wird derBuick zur rätselhaften Obsession: Die Weltsoll das wundersame Ding nicht sehen, weilSandy Dearborn und seine Kollegen eine Invasionder Medien fürchten. Die eigenen, notdürftigimprovisierten Versuche aber, den Geheimnissendes komischen Gerätes auf den Grund zu gehen,bleiben erfolglos.Klar ist nur, dass in Schuppen B das Grauenwohnt, seltsam faszinierend, alle in seinenBann schlagend, Biografien verändernd undSchicksale bewegend.

Nein, "Der Buick" ist wohl nicht Stephen Kingsüberzeugendste Geschichte, ja, vielleichtnicht einmal eine seiner besseren. Zu kleinteiliglässt er seine wechselnden Erzähler vom Lebenmit dem Auto aus der anderen Welt berichten,als dass die Geschehnisse Geschwindigkeitaufnehmen könnten. Zu offenkundig auch istder Ausgang der Story, weil sie von Anfangan als Rückblick erzählt wird.

King ist nicht abgelenkt von Action, nichtverpflichtet, irgendeine Art von Handlungvoranzutreiben wie noch in seinem ersten,mit Pennälerängsten spielenden Auto-Schocker"Christine". Statt dessen geht der Blick nachinnen, schält er aus dem zufällig zusammengewürfeltenPolizei-Trupp Gesichter heraus, Charaktereund Beziehungen, die dem Leser den Atem raubenauch und gerade wegen des unaufgeregten, lakonischenTonfalls, in dem Sandy Dearborn, Huddie Royerund George Morgan dem jungen Ned Wilcox, Sohnihres bei einem Unfall umgekommenen KollegenCurtis, über die Jahrzehnte berichten, indenen sie den Wunderwagen gehütet haben wieeine streng verschworene geheime Bruderschaftvon Bewachern. Die in der Truppe nur "Filmvorstellung"genannten Blitzaufführungen des beiseite geschobenenBotschafters einer fernen Dimension beleuchtenzuckend die komplexen Beziehungen zwischenMännern, Frauen und Maschinen: Haben sie denBuick? Oder hat er längst sie?

Stephen King: Der Buick; Ullstein Berlin2002, 495S., 22Euro